Lasst Knochen sprechen: 3. Fall mit Tempe Brennan
meinem Wandschrank. Ich habe meine Louis-Vuitton-Reisetasche verlegt und kann mir nicht vorstellen, wo sie ist.«
»Isabelle, ich brauche ein paar Informationen.«
An meinem Ton war zu hören, dass ich nicht in der Stimmung war für eine Unterhaltung über Reisegepäck.
»Oui?«
»Ich möchte mehr über Lyle Crease wissen.«
»Ah, Tempe, du kleine Elfe. Ich wusste doch, dass du deine Meinung noch ändern würdest.«
Denkste. »Erzähl mir von ihm.«
»Er ist süß, nicht?«
Wie ein Mehlwurm, dachte ich, sagte aber nichts.
»Und du weißt, dass er Sensationsreporter bei CTV ist. Sehr glamourös.«
»Wie lange macht er das schon?«
»Wie lange?«
»Ja. Wie lange?«
» Mon Dieu. Seit ewigen Zeiten.«
»Seit wie vielen Jahren?«
»Das weiß ich nicht so genau. Aber so weit ich zurückdenken kann, ist er auf Sendung.«
»Was hat er davor getan?«
»Davor?«
»Ja. Vor CTV.« Das war noch schwieriger als Dorseys Befragung.
»Lass mich mal nachdenken.« Ich hörte ein leises Klicken und stellte mir vor, dass sie mit ihren lackierten Nägeln auf den Hörer klopfte. »Ich weiß die Antwort auf deine Frage, Tempe, weil Véronique es mir gesagt hat. Véronique moderiert inzwischen eine Prominenten-Talkshow bei Radio Canada, aber angefangen hat sie als Wettermädchen bei CTV. Kennst du sie?«
»Nein.« Mein linkes Ohr fing an zu pochen.
»Sie war kurz mit Lyle zusa –«
»Ich habe sie bestimmt schon mal gesehen.«
»Ich glaube, sie hat mir gesagt, dass CTV Lyle von einer amerikanischen Zeitung abgeworben hatte. Nein. Warte, gleich hab ich’s.«
Tick.Tick.Tick. »Es war eine Zeitung irgendwo im Westen. Alberta, glaube ich. Aber ursprünglich kommt er aus den Staaten. Oder vielleicht ist er dort in die Schule gegangen.«
»Weißt du in welchem Staat?«
»Irgendwo im Süden, glaube ich. Das dürfte dir gefallen.«
»Wann kam er nach Kanada?«
»Ach du meine Güte, ich habe keine Ahnung.«
»Wo wohnt er?«
»Nicht auf der Insel, glaube ich. Vielleicht in der Innenstadt.«
»Hat er hier Familie?«
»Tut mir Leid.«
»Wie gut kennst du Lyle Crease?«
»Ich bin nicht seine Vertraute, Tempe.« Ihr Ton wurde allmählich abwehrend.
»Aber du hast versucht, mich mit ihm zu verkuppeln!« Ich versuchte, meine Stimme neutral zu halten, aber die Irritation brach doch durch.
»Du musst es ja nicht gleich so formulieren. Der Herr hat mich gebeten, ihn dir vorzustellen, und ich sah keinen Grund, ihm das abzuschlagen. Es ist ja nicht gerade so, als hättest du im letzten Jahr ein erfülltes Liebesleben gehabt.«
»Augenblick. Noch mal. Es war Creases Idee, dass wir uns kennen lernen?«
»Ja.« Vorsichtig.
»Wann war das?«
»Ich weiß nicht, Tempe. Ich bin ihm zufällig im L’Express begegnet, du weißt schon, dieses Bistro an der Rue Denis, da –«
»Ja.«
»Lyle sah dein Bild in der Zeitung und war absolut hingerissen. Sagte er zumindest, wenn auch nicht genau mit diesen Worten. Auf jeden Fall haben wir uns unterhalten, und eins führte zum anderen, und bevor ich mich’s versah, hatte ich ihn zum Abendessen eingeladen.«
Tick. Tick.
»Und mal ehrlich, er war doch gar nicht so schlimm. Eigentlich war er recht charmant.«
»Mhm.« Das war Ted Bundy ebenfalls.
»Bist du wütend auf mich, Tempe?«
»Nein, ich bin nicht wütend.«
»Soll ich mich mal umhören? Ich kann Véronique anrufen und –«
»Nein. Mach dir keine Mühe. Es ist nicht wichtig.«
Lyle Crease alarmieren wollte ich nun wirklich nicht.
»Ich war einfach nur neugierig. Schöne Reise, Isabelle.«
»Merci. Was meinst du, wo meine Reisetasche hingekommen sein könnte?«
»Versuch’s mal in der Abstellkammer.«
»Bonne idée. Bonsoir, Tempe.«
Erst als ich aufgelegt hatte, fiel mir ein, dass ich sie gar nicht gefragt hatte, wohin sie fuhr.
Eine Stunde später begann das Gewusel im Hirn. Während ich im Bett lag und Kits Musik auszublenden versuchte, trieben Bilder, Fakten und Fragen an die Oberfläche und sanken dann wieder in die Tiefe wie tropische Fische in einem Aquarium des Unbewussten.
Bild. Lyle Crease, der Wein eingoss.
Fakt. Crease hatte unsere Begegnung eingefädelt. Er war in St.-Basile-le-Grand gewesen und wusste von den Skeletten, und er hatte, vor Isabelles Party, den Artikel in der Gazette gelesen.
Fragen. Warum wollte er mich kennen lernen? Hatte diese Bitte mit der Entdeckung der Gräber zu tun? War er einfach nur auf der Suche nach einer sensationellen Insider-Story, oder hatte er andere Gründe, warum
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