Lasst Knochen sprechen: 3. Fall mit Tempe Brennan
Augenbrauen in die Höhe. »Das Auge und die Gewebeprobe stammen von derselben Person.«
Oder Personen, dachte ich, wenn es zufällig Zwillinge sind. Ich dankte ihm und eilte in mein Büro zurück.
Mein Verdacht hatte sich bestätigt. Der Augapfel gehörte einem der Vaillancourts. Ein Mitglied der Vipers hatte ihn wahrscheinlich am Tatort gefunden und aus irgendeinem makabren Grund aufbewahrt. Aber wer hatte ihn mir unter den Scheibenwischer geklemmt?
Ich hörte das Telefon, bevor ich die Tür erreicht hatte, und rannte die letzten Meter. Marcel Morin rief von unten an.
»Wir haben Sie heute bei der Morgenbesprechung vermisst.«
»Tut mir Leid.«
Er kam sofort zur Sache. Im Hintergrund hörte ich Stimmen und das Geräusch einer Stryker-Säge.
»Vor zwei Wochen landete ein Schiff im Hafen, und einige Frachtcontainer wurden abgeladen, um sie zu reparieren.«
»Diese großen, die mit Neunachsern weitertransportiert werden?«
»C’est ça. Gestern öffneten Arbeiter den letzten dieser Container und fanden eine Leiche. Der Kapitän glaubt, dass der Tote wahrscheinlich ein blinder Passagier ist, hat aber darüber hinaus keine Erklärung.«
»Wo ist das Schiff registriert?«
»Malaysia. Ich habe mit der Autopsie begonnen, aber die Überreste sind so stark verwest, dass ich nicht viel machen kann. Ich möchte, dass Sie sich die Leiche ansehen.«
»Ich bin gleich unten.«
Ich legte auf und ging ins Labor, wo ich Jocelyn, die Aushilfskraft, über meinen Arbeitstisch gebeugt fand. Miss Charmant trug Netzstrümpfe und einen Lederrock, der so kurz war, dass die dunklen Strumpfsäume zu sehen waren. Beim Geräusch der Labortür richtete sie sich auf und drehte sich um.
»Dr. Morin hat mich gebeten, Ihnen das zu geben.«
Sie streckte mir ein Papier hin, und ihre Ohrringe schwangen hin und her wie Kinderschaukeln. Auf jedem der Reifen hätte ein Fink Platz gehabt.
Ich ging zu ihr, nahm das Anfrageformular und wunderte mich, dass Morin es mir nicht einfach auf den Tisch gelegt hatte.
»Klasse Frisur.« Sie sprach mit leiser, monotoner Stimme, und ich konnte nicht sagen, ob sie es sarkastisch meinte oder nicht. Ihr Gesicht war noch blasser als sonst, die Augen hatten rote Ränder und dunkle Tränensäcke.
»Danke, Jocelyn.« Ich zögerte, weil ich mich nicht aufdrängen wollte. »Alles in Ordnung mit Ihnen?«
Sie reagierte, als hätte die Frage sie völlig aus der Fassung gebracht. Dann zuckte sie die Achseln und murmelte: »Im Frühjahr habe ich immer mit Allergien zu kämpfen. Ansonsten geht’s mir gut.«
Mit einem letzten verwirrten Blick huschte sie aus dem Labor.
Ich verstaute die Osprey-Knochen wieder in meinem Schrank und brachte den Rest des Vormittags mit dem blinden Passagier aus Malaysia zu. Morin hatte nicht übertrieben. Der Großteil des Bindegewebes der Leiche gehörte den Maden.
Als ich mittags wieder nach oben ging, saß Kit auf meinem Stuhl, die Stiefel überkreuzt auf dem Fensterbrett, ein kleines Frank-Sinatra-Hütchen auf dem Hinterkopf.
»Wie bist du denn in diese Etage gekommen?«, fragte ich und versuchte, meine Überraschung zu verbergen. Ich hatte ganz vergessen, dass wir uns via Kühlschranktür zum Mittagessen verabredet hatten.
»Ich habe dem Wachmann meinen Führerschein gegeben, und er hat mich hoch gelassen.« Er zeigte mir den blauen Besucherpass, der an seinem Kragen klemmte. »Zuerst hab ich in der Lobby herumgesessen, aber dann hatte eine Dame Mitleid mit mir und hat mich hierher gebracht.«
Er nahm die Füße vom Fensterbrett und drehte sich um.
»Wow! Lass dich mal genau anschauen.«
Anscheinend hatte er etwas in meinem Gesicht entdeckt.
»Versteh mich nicht falsch. Ein echt radikaler Haarschnitt.« Er zielte mit beiden Zeigefingern auf mich. »Macht dich jünger.«
»Gehen wir«, sagte ich und nahm einen Pullover vom Garderobenständer. Ich hatte die Nase voll von Kommentaren zu meiner Frisur.
Bei französischen Sandwiches und Pommes erzählte mein Neffe mir von seinem Sonntag mit Lyle Crease, dessen Höhepunkt der Kauf dieses Hütchens gewesen war. Keine Madonna oder Fischköder. Nach der Rückkehr nach Montreal hatten sie bei Ben’s Räucherfleisch gegessen, und dann hatte Crease ihn ins Nachrichtenstudio mitgenommen.
»Über was redet ihr beide eigentlich?«
»Der Typ hat wirklich was auf dem Kasten«, murmelte er mit vollem Mund. »Es ist irre, was der alles übers Fernsehen weiß. Und mit Motorrädern kennt er sich auch ziemlich gut aus.«
»Stellt er dir
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