Last days on Earth: Thriller (German Edition)
Rückkehr in die reale, körperliche Welt schmerzte. Alles war zu laut, zu fest, zu rau, zu grob, zu grell. Sie schloss die Augen, ließ ihren Atem langsamer werden und wartete, bis ihr Puls nicht mehr so rasend schlug.
»Ich werde mich nun zur Ruhe begeben«, hörte sie Norxis sagen. »Möchten Sie über Nacht hierbleiben? Ich besitze kein Gästezimmer, aber man hat mir versichert, dass dieses Sofa bequem genug sei, um darauf zu nächtigen.«
Karla öffnete die Augen. Was auch immer sie eben noch gesehen und als Flügel gedeutet hatte, war verschwunden wie Rauch in einem Kamin. Der Drache ragte wie ein schwarzer Monolith vor ihr auf, und nur das Licht in seinen Augen und der Schimmer seiner Haut rissen seine Konturen aus der Dunkelheit.
»Ich würde es vorziehen, in meinem eigenen Bett zu schlafen«, erwiderte Karla. »Macht es Ihnen etwas aus, mich wieder zurückfahren zu lassen?«
Der Drache streckte sich mit katzenhafter Grazie. Seine Klauen schabten über den Boden. »Nicht im Mindesten«, erwiderte er. »Ich bin keine gesellige Natur.«
»Das scheint Ihre Spezies auszuzeichnen.«
Norxis ließ ein paar Funken aus seinen Nasenlöchern stieben. »Damit liegen Sie vermutlich ganz richtig, Frau van Zomeren.« Er erhob sich mit einer geschmeidigen Bewegung, wobei sein langer, stachelbewehrter Schwanz dicht an Karlas Fuß vorbeiglitt.
Karla schlüpfte in ihre Schuhe und folgte dem riesigen Wesen durch sein düsteres Loft. Sie konnte die dunkle Glut der Essentia in ihrem Inneren fühlen. Es war wirklich an der Zeit, sich wieder einmal mit Maurizio zu treffen. Karla berührte die Lebenskraft, die wie ein beständiger Grundton ihren Puls begleitete. Fühlte sie sich anders an als sonst? Hatte sie nicht eine tiefere, wärmere Qualität als das quecksilbrige, glitzernde Strömen, das Karla sonst zu kennen meinte?
Sie blieb an der Tür stehen und zwang sich, Norxis’ Blick einzufangen. »Was ist heute Abend geschehen?«, fragte sie.
Was, glauben Sie, ist geschehen? Der Drache klang amüsiert. Wie auch immer, ich danke Ihnen für einen angenehmen, erquicklichen Ausklang eines insgesamt unerfreulichen Tages. Ich wäre bereit, dies zu wiederholen.
Er drückte einen Rufknopf und sagte: »Kern, bringen Sie Frau van Zomeren wohin sie möchte.« Er wandte sich ab und bemerkte im Hinausgehen: »Sie haben meine Karte. Rufen Sie mich an.«
Die Rückfahrt verbrachte Karla damit, ihre Gedanken und Emotionen zu ordnen. Was hatte sie erreicht? Sie war immer noch nicht sicher, ob Felsenstein etwas mit ihrem Fall zu tun hatte. Vielleicht hatten ihm die gestohlenen Bücher wirklich nur gehört. Sie hatte zwar das unbestimmte Gefühl, dass er dennoch seine Klauen im Spiel hatte, aber sie konnte es nicht beweisen.
Die leisen Motorengeräusche schläferten sie mitten in ihren Überlegungen ein, und sie erwachte erst, als ein unangenehm kühler Luftzug durch die geöffnete Tür strömte und sie frösteln ließ.
Der Chauffeur begleitete sie schweigend zur Haustür, wartete, bis sie aufgeschlossen hatte, verneigte sich höflich und kehrte zur Limousine zurück.
Karla stieg die Treppen hinauf und blieb einen Moment lang vor Raouls Tür stehen. Dann entschied sie, ihn nicht aufzuwecken. Es gab nichts zu berichten, was nicht auch bis zum nächsten Tag warten konnte.
Es war Mittag, als sie sich zu einem späten Frühstück in Raouls Küche begab. Sie hörte ihn im Bad hantieren und schloss daraus, dass auch er nicht allzu früh im Bett gewesen war.
Sein Anblick, als er jetzt hereingeschlurft kam, bestätigte den Verdacht und ergänzte ihn um den Zusatz: »… und nicht allzu nüchtern.«
Sie stellte ihm schweigend einen Becher Kaffee hin und setzte sich ihm gegenüber an den Küchentisch. Raoul brummte einen Dank und nahm die Tasse in die Hände. »Na?«, fragte er.
Karla verkniff sich ein Lächeln. Er sah ausgesprochen missvergnügt aus. »War eine lange Nacht, hm?«
Er knurrte wieder und trank einen Schluck Kaffee.
»Alles in Ordnung«, sagte sie. »Mach nicht so ein Gesicht. Er hat mich weder gefressen noch geschwängert.«
Raoul stellte den Becher ab und schob ihn von sich, als wäre ihm plötzlich schlecht geworden. »Was hast du dir dabei eigentlich gedacht?«
Karla hob die Schultern. »Es erschien mir in doppelter Hinsicht nützlich. Wir wollten ihn verhören und ich hatte schon Zugang zu ihm gefunden – und er hat deinen Freund bedroht. Quass machte auf mich den Eindruck eines Mannes, der zum Schafott geführt werden
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