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Last days on Earth

Last days on Earth

Titel: Last days on Earth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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»Winter und van Zomeren«,
sagte er und wies auf Karla, die ein Stück hinter ihm stehen geblieben war.
»Behörde für Magische Belange. Wir haben einen Termin mit Herrn
Dr. Meyring.«
    Â»Nehmen Sie bitte einen Moment Platz«, sagte die Empfangsdame mit
piepsiger Stimme und griff zum Telefon.
    Raoul sah sich um. Dort standen ein paar unbequem aussehende
Metallstühle neben einer verkümmerten Topfpalme. In der Erde steckten
Zigarettenkippen.
    Raoul sah, wie Karla angewidert das Gesicht verzog. Nach dem
gemeinsamen Abendessen hatte er das Gefühl gehabt, sie wäre ihm gegenüber ein
wenig aufgetaut und hätte etwas von ihrer Distanziertheit und ihrem Misstrauen
verloren. Aber heute erschien sie so zugeknöpft und unzugänglich wie bei ihrer
ersten Begegnung. Lag es an dem, was dieser Vollidiot Loyal erzählt hatte? Raoul
ballte unwillkürlich die Faust. Er konnte sich lebhaft vorstellen, was der
Großinquisitor über ihn gesagt hatte. Ihr letztes Zusammentreffen war alles
andere als harmonisch verlaufen. Raoul erinnerte sich an eine explodierende Teekanne
und eins von Loyals geliebten Zitronentörtchen, das dem Großinquisitor über der
linken Augenbraue geklebt hatte.
    Â»Woran denken Sie gerade?«, fragte Karla.
    Raoul riss seine Gedanken von dem gelb-weißen Desaster in Loyals
Gesicht los – und von dem Rausschmiss, der auf dem Fuße gefolgt war (nur seine
enge Verbindung zur Großmeisterin war es, die ihn vor Schlimmerem bewahrt
hatte), und zwang sich angesichts ihrer finsteren Miene zu einem Lächeln. »Was
ist Ihnen über die Leber gelaufen?«, fragte er. »Haben Sie sich mit Ihrem Freund
gestritten?« Sie hatte doch einen Partner erwähnt, oder hatte er etwas falsch
verstanden? Dass dies genau der falsche Ansatz war, um sie ein wenig
aufzumuntern, sah man sofort. Ihre Augen schleuderten kleine Blitze, und Raoul
wich ihnen hastig aus. Es roch nach verschmortem Plastik. »Sorry«, sagte er.
»Anscheinend habe ich einen wunden Punkt getroffen.«
    Karla murmelte etwas und zog das silber-schwarze Medaillon aus dem
Ausschnitt. Sie warf einen schnellen Blick darauf und stöhnte.
    Â»Was ist das?«, fragte Raoul und beugte sich interessiert vor. Für
ein Schmuckstück war es zu schlicht, es sah eher aus wie ein … »Ein
Messgerät?«
    Karla ließ das Medaillon wieder verschwinden und nickte resigniert.
    Mit einem Winken unterbrach die Empfangsdame sie. »Direktor Meyring
hätte jetzt Zeit. Der rechte Aufzug bringt Sie direkt ins Archiv.«
    Dr. Meyring entpuppte sich als ein kleines, nervöses
Männchen mit schütterem grauem Haar. Seine runden Augen hinter den
Brillengläsern gaben ihm das Aussehen eines erschreckten Waldkauzes. Im
scharfen Gegensatz dazu stand allerdings die befehlsgewohnte, sonore Stimme,
mit der er sie begrüßte und ihnen einen Platz anbot.
    Raoul sah, wie Meyring die Magistra taxierte, als Karla ihre Jacke
über die Stuhllehne hängte: ihre langen Beine hochfuhr, eine Weile auf ihrem
überaus ansehnlichen Hinterteil verweilte, sich dann bemühte, nicht allzu offensichtlich
auf ihre Brüste zu starren, um endlich mit Erleichterung in der Miene seinen
Eulenblick auf ihr Kinn zu fixieren. »Was kann ich für Sie tun, junge Frau?«,
fragte er, Raoul vollkommen ignorierend.
    Raoul sah, wie Karlas Miene einfror. Die Anrede schien ihr ebenso
wenig zu schmecken wie die vorhergegangene Musterung. Sie zog die Brauen
zusammen und fischte ihr abgegriffenes Notizbuch heraus. »Dr. Meyrink«,
begann sie.
    Â»Meyring. Mit weichem › g‹«, korrigierte
er sie. »Weder verwandt noch verschwägert mit gleichlautendem Autor.«
    Sie blinzelte unwillig. »Kenne ich nicht«, sagte sie. »Herr
Dr. Meyring, mein Kollege und ich sind hier, um Sie noch einmal wegen des
Bücherdiebstahls zu vernehmen.« Sie zögerte einen winzigen Moment und sprach
dann weiter: »Und natürlich wegen des Mordfalls.«
    Raoul hielt den Atem an.
    Dr. Meyring erwiderte nichts. Er stülpte die Lippen vor,
schmatzte, als würde er einen Schluck Wein verkosten, und schüttelte dann den
Kopf. »Ich bin ein wenig befremdet darüber, dass die Ermittlungsbehörden sich
bis heute Zeit gelassen haben, jemanden vorbeizuschicken«, sagte er in
pikiertem Ton. »Das Ansehen und der untadelige Ruf der Staatlichen Bibliothek
stehen und fallen mit

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