Last Exit
erblickte hinter dem anderen Gitter einen hochgewachsenen, dünnen Mann in Morgenmantel und Pyjamahose, der sich über das zerzauste Haar strich. Als Milo sich ihm näherte, wurde die Tür entriegelt, an die er geklopft hatte, und eine alte Frau spähte heraus. »Mi van?«
»Semmi.« Parkhall wedelte mit langen Fingern. »Bocsánat, Edit.«
Während Parkhall aufschloss, sperrte Edit bei sich zu; metallisches Klirren hallte durchs ganze Treppenhaus. Sie gaben sich die Hand, aber Parkhall ließ ihn nicht so ohne weiteres ein. »Haben Sie einen Ausweis?«
»Meine Ermittlerlizenz hab ich im Hotel gelassen. Reicht Ihnen mein Pass?«
Parkhall zuckte die Achseln, dann studierte er ausgiebig den Hall-Pass. Milo folgte ihm in ein großes Wohnzimmer mit IKEA-Möbeln und einem auf stumm geschalteten Fernseher, auf dem BBC-Nachrichten liefen. Die Wohnung, die früher sicher nach der üblichen kommunistischen Praxis zerstückelt worden war, war schön renoviert. Parkhall nahm sich eine Tasse Kaffee vom Tisch und schluckte zwei Tabletten. »Kater. Kennen Sie Unicum?«
»Klar. Gar nicht schlecht.«
»Aber nur in Maßen, sonst handelt man sich schlimme Schmerzen ein.«
»Ich werd’s mir merken.«
»Kaffee?«
»Nein, danke. Ich hatte schon genug.«
Parkhall ließ sich auf die Couch fallen. »Na los, nehmen Sie Platz.«
Milo ließ den Mantel an und setzte sich auf einen
Stuhl. »Es dauert bestimmt nur ein paar Minuten. Ich meine, den Hintergrund kenne ich schon. Gray war im Krankenhaus, bevor er verschwunden ist, richtig?«
Parkhall nickte.
»Wie ist es dazu gekommen, dass er ins Koma gefallen ist?«
»Das wissen Sie nicht?«
»Ich habe widersprüchliche Informationen. Daher würde ich gern hören, was Sie als Journalist dazu sagen.«
Parkhall zuckte mit den Schultern. »Angeblich hat ihn ein Einbrecher vom Balkon in seiner Wohnung geworfen. Im August.«
Das war unerwartet. »Hat die Polizei den Einbrecher gefasst?«
»Da müssen Sie schon dort nachfragen. Meines Wissens aber nicht.«
»Gut, ich werde gleich anschließend hingehen«, log er.
»Warum fragen Sie dann mich?«
»Es kann nicht schaden, wenn man sich absichert.«
Ein Lächeln huschte über Parkhalls Lippen. »Vor allem bei Ungarn.«
»Was sagt Gray? Hat er eine Ahnung, wer es war? Oder war es nur ein Zufallseinbruch?«
Parkhall musterte ihn einen Moment, dann stand er mit seiner Tasse auf. »Wollen Sie bestimmt keinen Kaffee? Ich hol mir Nachschub.«
»Bevor ich mich schlagen lasse … Danke, schwarz.« Milo folgte ihm zur Küchentür. »Was ist mit Gray?«
Parkhall füllte die Tassen aus einer Stempelkanne, und als er sich umdrehte, lag ein gequälter Ausdruck auf seinem Gesicht. »Henry hat viele Ideen – Theorien. Das ist seine journalistische Herangehensweise. Eine Theorie zu allem. Verschwörungstheorien.«
»Ich hab ein paar Sachen von ihm gesehen«, räumte Milo ein. »Ziemlich schräg. Zumindest für mich.«
»Für uns auch.« Parkhall reichte ihm eine Tasse, und sie schlenderten zurück ins Wohnzimmer. »Ehrlich gesagt war der Typ für uns so eine Art Witzfigur. Sie erinnern sich doch bestimmt an den Tsunami, der vor ein paar Jahren über Indonesien weggefegt ist? Wir haben zusammen einen getrunken, und ich habe im Scherz von einem Dokument erzählt, das beweist, dass die CIA dahintersteckt. Wetterexperimente. Alle haben gelacht, außer Henry. Ich meine, er hat mir die Story voll abgenommen !«
»Unglaublich.«
»Stimmt. Und wenn man ihn fragt, wer ihn vom Balkon geworfen hat, gibt es nur eine mögliche Antwort, und die hat er auch gleich nach dem Erwachen aus dem Koma ausgespuckt. Die CIA wollte ihn beseitigen.«
»Das hat er Ihnen erzählt?«
»Hat mich nach dem Aufwachen angerufen. Er fand, ich soll was für die Times darüber schreiben. Die reinsten Wahnvorstellungen.«
Milo stellte seine Tasse ab. »Hat er gesagt, warum ihn die CIA umbringen wollte?«
»Man nennt es Hybris, Mr. Hall, und Henry ist reich damit gesegnet. Angeblich hat er einen Brief mit Informationen bekommen, die die CIA gesprengt hätten. Die CIA hat davon erfahren und beschlossen, ihn zu liquidieren. Der Typ sollte Agententhriller schreiben.«
Milo lachte höflich, dann wurde sein Gesicht wieder ernst. »Haben Sie eine Ahnung, was in dem Schreiben stand?«
»Tja, das ist ein einziges Rätsel. Der Brief ist verschwunden, nachdem Henry vom Balkon gestürzt ist. Als
ich ihn nach Einzelheiten gefragt habe, hat er geantwortet, er kann mir nichts erzählen.
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