Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Last Exit

Last Exit

Titel: Last Exit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olen Steinhauer
Vom Netzwerk:
Zeug, über das ich nicht reden darf.«
    »Ihre Leute haben mich überprüft«, wandte Dr. Ray ein. »Was Sie hier sagen, bleibt unter uns.«
    »Das ist eine andere Geheimhaltungsstufe«, entgegnete Milo kalt. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Vielleicht sollte ich jetzt gehen.«
    »Ich glaube, das wäre ein schwerer Fehler«, sagte Dr. Ray.
    Er nickte gehorsam, war aber während der restlichen Sitzung gar nicht mehr anwesend. Tina wäre es lieber gewesen, wenn er verschwunden wäre. Dann hätte sie wenigstens
ihrem Frust freien Lauf lassen können. Aber da sie diesen Roboter mit leerem Gesicht vor sich hatte, der ganz in sich versunken war, war ihr selbst das verwehrt.
    Auf dem Weg zum Auto brach er sein Schweigen, aber was er von sich gab, war weder konstruktiv noch aufmunternd: »Kannst du mich zur U-Bahn bringen?«
    »Geh zu Fuß, du egoistischer Scheißkerl.« Sie stieg ins Auto. Ohne die Beifahrertür zu entriegeln, ließ sie den Motor an und fuhr weg.

31
    Der Mann war klein und zappelig. Kein Deutscher, da war sich Hasad völlig sicher. Er kam mit einem alten Taxi an und betrat den Laden mit einer zerknüllten Arbeitermütze zwischen den fleischigen, mit zu viel dunklem Haar bedeckten Fäusten. Auf den Zehenspitzen stehend, schaute er sich in dem leeren Geschäft um, bevor er sich umdrehte und Hasad mit einem knappen »Guten Abend« grüßte. Er sprach einen östlichen Akzent, wie die Tschechen, die manchmal hier anhielten, wenn sie auf undurchsichtiger Mission zur BND-Zentrale fuhren.
    Wie manche von ihnen trug er einen zu großen Trenchcoat, nur dass der Stoff noch schlechter war als bei den Tschechen. Doch seine Schuhe waren so blank poliert, dass sich in ihnen das Licht der Neonlampen an der Decke spiegelte.
    Er ging in den hinteren Teil des Ladens und stöberte gemächlich herum. Ab und zu nahm er prüfend einen Schokoriegel oder eine Tüte Chips in die Hand, stellte aber alles wieder zurück.
    Zuerst war Hasad beunruhigt. Unter dem Mantel konnte sich eine Pistole verbergen. Noch bevor er sich Sorgen um sein Leben machte, überschlug Hasad im Kopf, wie viel Geld in der Kasse war. Doch als der Mann den Mantel dreimal öffnete und schloss, um sich Luft zuzufächeln,
stellte er fest, dass die korpulente Gestalt keine Waffen bei sich trug.
    Der Mann schwitzte, auch das war schon von fern zu erkennen. Das Haar auf seinem Kopf und das dichte Fell, das aus seinem billigen Pullover wucherte, glitzerten, als er sich bückte, um die Aufschrift auf einer Packung Golden Toast zu lesen.
    Er war noch immer in seine Suche vertieft, als Frau – Direktor – Schwartz eintraf. Sie nickte Hasad zu und schlug die übliche Route nach hinten ein, um ihren Riesling zu holen. Zu seiner Überraschung nahm sie zwei Flaschen. Als sie sich nach dem Snickers umdrehte, bemerkte sie den Mann, der sie im selben Moment ansprach: »Frau Schwartz.«
    Sie erstarrte. Hasad hatte Angst, dass sie die Flaschen fallen lassen könnte, doch ihr Griff wurde nur fester – er sah, wie ihre rosigen Finger weiß wurden. Dann entspannte sie sich. »Guten Tag, Herr Stanescu. Ich wusste nicht, dass Sie in München sind.«
    Keine Antwort. Selbst aus seiner Position konnte Hasad etwas Wildes in Stanescus Augen wahrnehmen, als würde er sich großen Reichtum von ihr erwarten. Er stand in einem Gang und sie im nächsten. Sie unterhielten sich über die Kartoffelchips hinweg. Dann öffnete der Mann den Mund, doch statt Worten drang ein leises Wimmern heraus, und er begann zu weinen.
    »Fahren Sie lieber nach Hause, Herr Stanescu«, sagte sie. »Wir tun alles, was in unseren Kräften steht.«
    Stanescu – jetzt fiel es Hasad ein. Das Mädchen aus den Zeitungen, das von Russen getötet worden war. Dann erkannte er den Mann von den Fotos wieder. Andrei, der arme Vater des Opfers. Fast wäre er in Ohnmacht gefallen.

    Andrei Stanescus Worte waren durch sein Schluchzen kaum zu verstehen. »Rufe ich ihn an und rufe an, aber keine Antwort. Herr Reich, antwortet er nicht.«
    »Das tut mir leid, aber ich habe Ihnen ja schon gesagt, ich bin nicht mehr zuständig für den Fall. Glauben Sie mir, Herr Reich arbeitet sehr sorgfältig daran.«
    »Brauche ich eine Antwort, Sie verstehen? Ich sterbe!«
    »Fahren Sie nach Hause.«
    »Der Mann, wo ist er?«
    »Herr Reich? Er …«
    »Nein!« Plötzlich verdrängte Zorn die tiefe Trauer. »Der andere Mann! Von dem Bild! Der sie hat umgebracht !«
    »Das war ein Irrtum.« Sie hielt nur noch eine Flasche in der Hand, und

Weitere Kostenlose Bücher