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Last Exit

Last Exit

Titel: Last Exit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olen Steinhauer
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seiner Tasse. »Das ist das Problem heutzutage.«
    »Ach?«
    »Keiner schaut mehr über den Tellerrand hinaus, alle sind nur auf den eigenen Vorteil aus. Kunstschätze zu rauben ist, als würde man Bücher rauben. So was ist einfach nicht anständig. Große Kunst hängt zur Erbauung der Gesellschaft in Museen, für die Leute von der Straße.«
    »Das Proletariat?«
    »Spar dir dein Grinsen. Du hast gegen den Gesellschaftsvertrag verstoßen, Milo. Aber was macht dir das schon aus? Oder den Leuten in der Avenue of the Americas. Von wem war die Idee?«
    So zornig hatte ihn Milo nur selten erlebt. »Von mir.
Ich sollte Geld auftreiben. Das war die leichteste und schnellste Methode, die mir eingefallen ist.«
    »Leichteste und schnellste Methode?« Primakow stieß ein bitteres Lachen aus. »Du hast einen Degas, einen Monet, einen van Gogh und einen Cézanne gestohlen – der größte Kunstraub in der Geschichte der Schweiz. Wie willst du die Sachen denn losschlagen? Meinst du etwa, das fällt keinem auf?«
    »Lass das meine Sorge sein.«
    »Und ob«, antwortete der Alte. »Darum kannst du dich wahrhaftig alleine kümmern. Für dich sind diese Bilder doch nur ein Haufen Geld.« Er schüttelte den Kopf. »Wenn ich dich aufgezogen hätte, wäre dir so was nie in den Sinn gekommen.«
    »Wenn du mich aufgezogen hättest, Jewgeni, wären wir jetzt nicht hier.«
    Sie wandten sich wieder ihrem Plan zu. Die ersten Schritte hatten nie in Zweifel gestanden. Primakow stimmte Milo zu, dass es das Beste war, Adriana in den Hof zwischen ihrer Schule und dem Taxi ihres Vaters zu locken. Die Frage war, was als Nächstes folgte und wie schnell Primakow die entsprechenden Vorkehrungen treffen konnte.
    Sehr schnell, wie sich erwies. Als Leiter einer eigenen Geheimdiensteinheit, die sich in dem barocken Verwaltungsapparat der Vereinten Nationen verbarg, war Jewgeni Primakow in seinem Handeln relativ ungebunden, da nur wenige von der Existenz seiner Abteilung wussten. Somit genügten zwei Anrufe.
    Sie beschlossen, den Plan noch am Nachmittag durchzuführen.
    Nachdem Milo seinen kaffeesauren Magen mit Knoblauchhähnchen von einem chinesischen Imbiss gefüllt
hatte, suchte er sich vor einem farblosen Büroblock in Berlin-Mitte einen zehn Jahre alten 3er BMW mit ausreichend großem Kofferraum aus. Die Company-Fernbedienung an seinem Schlüsselring brauchte vierzig Sekunden, um die richtige Kombination zu finden. Nachdem sich die Zentralverriegelung mit einem Piepen gelöst hatte, schlüpfte er hinein und zog die Tür zu, dann lockerte er mit einem Schraubenzieher aus Lukas Steiners Wohnung die Armaturen, verband die Kabel und benutzte den Schraubenzieher gleich noch, um die Zündung einzuschalten. Vorsichtig lenkte er den Wagen in den Verkehrsstrom. Er musste darauf hoffen, dass der Job erledigt war, ehe das Verschwinden des Autos auffiel.
    Um vier war er in Kreuzberg und hatte bereits in dem Hof an der Gneisenaustraße geparkt. In den Apartments rund um den Hof wohnten Berufstätige, die zum größten Teil noch in der Arbeit waren. Fünfzehn Minuten saß er hinter dem Steuer und wartete. Als ein Rentner in den Hof kam, um etwas in die Mülltonne zu werfen, duckte er sich, als würde er etwas unter dem Beifahrersitz suchen.
    Als die Schüler um halb fünf ihren Kerker verlassen durften, hatte er mit einem T-Shirt Sitze, Lenkrad, Schalthebel und Griffe abgewischt und sich am Hofeingang postiert. An der breiten Straße, die von einem Mittelstreifen mit blattlosen Bäumen in zwei Hälften zerteilt wurde, reihte sich ein Laden an den anderen. In der Nähe bemerkte er ein kleines srilankisches Restaurant namens Chandra Kumari, dessen würzige Düfte die Luft erfüllten. Dann erspähte er ein Stück weiter auf der anderen Straßenseite eine dunkelblaue Opellimousine mit Berliner Kennzeichen, in der zwei überaus gelangweilte Deutsche hockten.
    Dieser Ausdruck von intensiver Langeweile, der nur
gespielt sein konnte, fiel ihm auf. Dann etwas Vertrautes. Nach einer Minute Nachdenken hatte er es: Als er Anfang der Woche die Fabrik von Imperial Tobacco überwachte, wo Rada Stanescu arbeitete, hatte er dieses Auto schon einmal gesehen. Samt den zwei Insassen, die er aufgrund ihrer Kleidung, Frisur und Brille für Deutsche hielt. Der eine jung – Ende zwanzig –, der andere über fünfzig. Dieselben Männer. Dieselbe Langeweile.
    Er unterdrückte den Impuls, zurück in den sicheren Hof zu springen. Stattdessen schaute er auf die Uhr und überlegte. Nur zwei

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