Last Exit
versteckt zu halten, während die Polizei nach ihr suchte. Die Eltern konnten ihrer ehrlichen Verzweiflung Ausdruck verleihen, und wenn das Medieninteresse abgeflaut war, sollte Jewgeni Kontakt zu ihnen aufnehmen. Der Kleinen geht es gut, würde er ihnen ausrichten, aber ihre Sicherheit ist nur gewährleistet, wenn alles geheim bleibt. Ihr müsst Berlin verlassen und wegziehen, um anderswo – vielleicht wieder in Moldawien – unter falschem Namen ein neues, friedliches Leben anzufangen. Um Einzelheiten wie Pässe, Transport und falls nötig auch Visa würde sich Jewgeni kümmern, aber dafür mussten sie ihm ihr Schweigen zusichern.
Bezeichnend für ihre Debatte waren Jewgenis Zweifel daran gewesen, dass die Eltern bereit waren, für Adriana ihr Leben aufzugeben. »Natürlich würden sie zuerst zustimmen, aber siehst du nicht auch die Gefahr, dass sie es sich später anders überlegen werden, wenn sie in einem einsamen Kaff, fern der westlichen Zivilisation festsitzen? Dass sie Kontakt zu Freunden und Bekannten aufnehmen ?«
Milo folgerte daraus, dass sich Jewgeni nicht vorstellen konnte, die eigene Zukunft für eine seiner Töchter oder gar für den unehelichen Sohn zu opfern, der ihm zeitlebens mehr Kummer als Freude bereitet hatte. Als seine Maschine Wolkenhöhe erklomm, fragte sich Milo, ob der Alte nicht nach reiflicher Überlegung zu der Erkenntnis
gelangen würde, dass ihm dieser Plan nur Scherereien machte, und daher beschließen würde, alle Probleme mit einer Kugel zu beenden.
Er musste sich persönlich davon überzeugen. In einigen Wochen wollte er darauf bestehen, dem Mädchen einen Besuch abzustatten.
Erschöpft verbrannte er in Dortmund seinen Alligator-Ausweis und die Gerald-Stanley-Papiere, ehe er als Sebastian Hall in einem Hotel übernachtete. Auch sein Telefon baute er wieder zusammen, aber niemand rief an. Am Morgen kaufte er im Einkaufszentrum am Westenhellweg neue Kleider, mietete ein Auto und fuhr durchs Ruhrgebiet, wo Industriestädte wie Bochum und Essen an ihm vorüberzogen; dann, auf dem Weg in die Niederlande, wurde die Gegend ländlicher. Am Samstagnachmittag erreichte er Amsterdam, gab seinen Wagen ab und stieg in einen Zug nach Belgien. Erst als er sich am Abend im Hotel Tourist in Antwerpen ein Zimmer genommen hatte, besorgte er sich mehrere deutsche Zeitungen. Der einzige Hinweis auf Milo Weavers Spur der Verwüstung war ein kurzer Bericht über fehlende Fortschritte in den Ermittlungen zum Kunstraub im Bührle-Museum. Keine Meldung über Adriana Stanescu. Die Berliner Polizei wartete bestimmt zweiundsiebzig Stunden, bevor sie Alarm schlug.
Sein Abendessen bestand aus Rinderbraten in Rotweinsoße mit Silberzwiebeln und den obligatorischen Pommes frites sowie zwei Flaschen Vondel-Dunkelbier. Nach der Mahlzeit war er wieder müde und stieg in sein kahles Zimmer hinauf. Bevor er einschlafen konnte, ließ ihn eine Handymelodie hochschrecken.
»Ja.« Er klang gereizt.
»Stattlich und feist.«
»Erschien Buck Mulligan.«
»Gut gemacht, Hall. Die Nachricht ist schon zu uns vorgedrungen. Die Angehörigen sind bei der Polizei angerückt. «
»Freut mich, dass Sie zufrieden sind.«
»Keiner hier hat eine Ahnung, wo Sie sie hingebracht haben. Nach Kreuzberg?«
»Keine Fragen, Alan.«
»Ich frage aber, Sebastian.«
Die Lüge ging ihm glatt über die Lippen, weil er sie eingeübt hatte. »Im Hof war ein zweites Auto. Da hab ich sie reingelegt. Nachdem mich Ihre Deutschen ab Tempelhof in Ruhe gelassen haben, bin ich zurück. Dann bin ich mit dem Wagen raus aufs Land gefahren.«
»Was für Deutsche?«
»Die, die mich in Ihrem Auftrag überwacht haben.«
Drummond schwieg, vielleicht um sich eine passende Antwort zurechtzulegen. »Da kann ich Ihnen nicht ganz folgen. Ich habe niemandem den Auftrag erteilt, Sie zu überwachen.«
»Spielt auch keine Rolle. Die Sache ist gelaufen.«
»Könnte aber eine Rolle spielen. Wenn Ihnen jemand auf den Fersen ist …«
»Im Augenblick ist mir niemand auf den Fersen.«
Wieder ein Zögern. »Wo sind Sie?«
Eine sinnlose Frage, da Drummonds Computer die Telefone aller Touristen ortete. »In Antwerpen.«
»Fahren Sie jetzt zurück nach Zürich?«
»Ja.«
»Nach Ihrer Ankunft gehen Sie zuerst ins Best Western Hotel Krone. Dort wartet ein Brief auf Sie.«
Er rieb sich die Augen. »Hören Sie, ich hab was anderes zu tun.«
»Dauert nicht lang, Hall, glauben Sie mir. Folgen Sie einfach den Instruktionen, dann haben Sie es gleich hinter
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