Last Exit
Treffen mit seiner Frau, im November, einen Tag nach dem Anruf von der Company. Ihre gemeinsamen Beratungsgespräche hatten ständig um die gleichen Argumente gekreist, ohne den geringsten Fortschritt. Vertrauen – das war der Knackpunkt. Tina hatte zu viel über ihren Mann erfahren. Niemand, so hatte sie der Therapeutin auseinandergesetzt, fühlt sich gern wie der Trottel in einer Beziehung. Im Lauf der Wochen hatte er keine Zeichen von Nachsicht erkennen können, also nahm er das Angebot der CIA an und erzählte am nächsten Tag mit der vagen Umschreibung Außendienst von seiner neuen Tätigkeit. Die Therapeutin, die die plötzliche Kälte im Raum spürte, fragte Tina, ob sie sich dazu äußern wollte. Tina fuhr die Konturen ihres großen, sinnlichen Mundes nach. Na ja, eigentlich wollte ich vorschlagen, dass er wieder bei Stef und mir einzieht. Aber das ist jetzt wohl vom Tisch.
Schlechtes Timing.
»Mischa?«
Der Alte packte ihn an den Schultern und zog ihn tiefer in den Schatten.
»Kein Grund, Tränen zu vergießen, mein Sohn. Sie ist
immer noch deine Frau, und auch Stephanie bleibt deine Tochter. Kein Grund, die Flinte ins Korn zu werfen.«
Milo wischte sich die Wangen trocken, er war nicht einmal verlegen. »Das kannst du doch gar nicht wissen.«
Der Alte bleckte das blendend weiße Gebiss zu einem Grinsen. »Natürlich weiß ich es. Im Gegensatz zu dir habe ich ab und zu bei meiner Schwiegertochter und meiner Enkelin vorbeigeschaut.«
Das überraschte ihn. »Was hast du Tina gesagt?«
»Die Wahrheit, was sonst? Ich hab ihr alles über deine Mutter erzählt, wie sie gestorben ist, und warum du ihr deine Kindheit und mich verschwiegen hast.«
»Hat sie es verstanden?«
»Also wirklich, Mischa. Du darfst die Menschen nicht so unterschätzen. Vor allem nicht deine Frau.« Er strich seinem Sohn über den Rücken. »Sie weiß, dass du dich im Augenblick nicht melden kannst. Aber sobald es möglich ist, wäre es sicher keine schlechte Idee, ihr einen Besuch abzustatten.«
Das war die beste Nachricht seit Monaten. Fast eine Minute lang hörte Adriana Stanescu auf zu existieren, und er konnte wieder atmen. Immer noch verkatert, ja, aber er fühlte wieder Boden unter den Füßen. Er räusperte sich und wischte sich noch einmal übers Gesicht. »Danke, Jewgeni.«
»Nichts zu danken. Und jetzt kümmern wir uns um dein kleines Problem.«
5
In einem Abstand von fünf Minuten verließen sie den Dom und gingen auf verschiedenen Strecken zu einem Apartment in der Nähe des Hausvogteiplatzes mit seinem Blütenblätterbrunnen. In der renovierten Dreizimmerwohnung im zweiten Stock lebte ein Lukas Steiner, wie Milo auf dem Türschild las. Auf seine Frage gab Primakow eine ausweichende Antwort. »Steiner ist ein Bekannter, auch wenn er es nicht weiß. Zum Glück macht er gerade Urlaub in Ägypten. Und nein«, fügte er hinzu, als er sah, was Milo in der Hand hielt, »hier kannst du nicht rauchen.«
Sie brauchten zwei Stunden und eine Kanne Kaffee, um einen Plan festzuklopfen. Mehr als einmal unterbrach sich sein Vater und sagte: »Hör zu. Ich weiß, das gefällt dir nicht, aber vielleicht ist ihr Tod doch die einzige Möglichkeit.«
»Kommt nicht in Frage.«
Primakow schien zu verstehen, auch wenn dieses Verständnis hin und wieder schwand und er seiner Meinung mit anderen Worten Ausdruck verlieh. Schließlich schlug Milo in einem kindischen Wutausbruch mit der Hand auf den Esstisch. »Schluss jetzt! Hast du es noch immer nicht kapiert?«
»Aber Mischa …«
»Glaubst du, ich könnte je wieder heimkehren, wenn ich so was getan habe?«
Daran hatte sein Vater offenbar noch nicht gedacht, und so ließ er es dabei bewenden.
Ab und zu stellte der Alte nebenher Fragen nach seinem Leben. Da das Leben eines Touristen identisch mit seiner Arbeit ist, forschte er ihn damit im Grunde über seine Aufträge aus. Milo war so erschöpft, dass er sich nicht die Mühe machte, ihm etwas vorzulügen. Außerdem hatte Jewgeni ihm letztes Jahr das Leben gerettet, und je eher er ihm ein paar Informationen zukommen ließ, desto eher war er diese Schuld los. »Ein Raub. In ein paar Tagen sollte alles unter Dach und Fach sein.«
»Ein Raub? Diamanten? Der Harem eines Politikers?«
»Kunstmuseum.«
Während er in seinem Kaffee rührte, schien Primakow die Bilder zu genießen, die dieses Wort in ihm weckte. Doch auf einmal zog er ein saures Gesicht und legte den Löffel auf den Tisch. »Zürich?«
»Ja.«
Primakow schlürfte aus
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