Last Exit
lachten über einen von Teddy Wertmüllers schlechten Witzen, während Bernd Hesse, das einzige freundliche, wenn auch unerwartete Gesicht im Zimmer, deprimiert mit seiner Tasse dasaß, als wäre er allein. Sie klopfte, und Bernd sagte etwas zu Birgit, die auf einen Knopf am Tisch drückte, um die Tür zu entriegeln.
»Hallo, Erika!«, rief Wertmüller, als sie eintrat. Seine Wangen waren heute ungewöhnlich rot und täuschten eine Jugend vor, die er bei dem anstrengenden Aufstieg an die Spitze des deutschen Nachrichtenwesens längst verloren hatte. Allerdings waren seine wilden Tage anscheinend noch nicht ganz vorbei – die Klatschgeschichten um Theodor Wertmüllers sexuelle Eskapaden wollten nicht verstummen. Seit seiner Scheidung Ende der siebziger Jahre war er überzeugter Junggeselle und hatte im Lauf der Zeit immer wieder Andeutungen über Schlüsselpartys, exotische Clubs und hübsche Jungs fallenlassen. Allerdings wusste niemand, ob wirklich etwas dran war oder ob er nur sein Publikum in Verlegenheit bringen wollte.
»Bitte setzen Sie sich.« Wertmüller wedelte mit der Hand. »Ich sage Jan, dass er Croissants bringen soll.«
»Nur Kaffee bitte.« Sie schloss die Tür und schob sich langsam zu einem Stuhl neben Bernd, der ihr heimlich zuzwinkerte.
Wertmüller drückte einen anderen Knopf und bestellte frischen Kaffee für alle, dann klatschte er in die Hände. »Dann wären wir ja alle versammelt.«
Birgit und Franz nahmen zu beiden Seiten des Chefs Platz – wie Synchrontänzer, fand Erika. Sie waren Wertmüllers Zöglinge – er hatte immer zwei, um sie gegeneinander ausspielen zu können. Auf dem Tischende zwischen ihnen lag eine Akte. Gelb: ein Arbeitsauftrag der Abteilung.
Jan, ein elegant gekleideter Pole, der zum Inventar von Raum S gehörte, schwebte mit einem Tablett herein. Er sammelte die leeren Tassen ein und servierte allen dampfenden Kaffee, ehe er wieder verschwand. Mit einem Funkeln im Auge trat Birgit an einen Wandschrank. Sie nahm eine verschlossene Flasche Rémy Martin heraus. »Ich gönn mir einen kleinen Schuss. Noch jemand?«
Ein Trick, schoss es Erika durch den Kopf. Sie legte die Hand über die Tasse und fragte sich, ob sie Bildmaterial der Überwachungskameras gesichtet hatten, um herauszufinden, wie viel sie trank. Musste sie wirklich mit derart kleinlichen Manövern rechnen? »Ich trinke ihn lieber so, danke.«
Ungerührt öffnete Birgit die Flasche und schenkte sich einen ordentlichen Schluck in ihre Tasse.
Wertmüller bedachte Birgit mit einem gespielt zornigen Blick. »Nachdem das geklärt ist, können wir wohl endlich anfangen. Erika war am Wochenende sehr beschäftigt.«
Über andere zu reden, als wären sie nicht im Zimmer, war eine weitere von Wertmüllers Techniken, und zwar eine sehr wirksame.
»Vielleicht möchte sie uns erzählen, worum es dabei ging?«
Sie sah keinen Grund zur Lüge. Während ihres Berichts fragte sie sich im Stillen, wie die Anwesenden von ihren Aktivitäten erfahren hatten. Nach ihren Gesichtern zu urteilen, war ihnen das alles nicht neu. Auf Oskars Loyalität konnte sie sich verlassen, aber vielleicht war der arme, rührselige Hans Kuhn in die Enge getrieben worden.
Andererseits hatte sie nichts zu verbergen, und damit spielte es wohl auch keine Rolle, wer die Quelle war.
»Würden Sie Ihre Ermittlungen als persönliche Gefälligkeit für Ihren Freund, den Polizisten bezeichnen?«, erkundigte sich Wertmüller.
Zum ersten Mal meldete sich Bernd zu Wort. »Gefälligkeit oder nicht, ich glaube, das berührt ihre Zuständigkeit. «
Erika war dankbar für die Unterbrechung. In der alten Zeit vor dem Mauerfall hatten sie und Bernd eng zusammengearbeitet. Mit der Neuausrichtung der Außenpolitik nach 89 mussten sie sich beide nach neuen Spezialgebieten umschauen, aber der Kontakt zwischen ihnen war nie abgerissen. Sie blieb beim Geheimdienst, während er in die Politik wechselte.
»Wie Bernd schon sagt«, ergänzte sie, »ich fand, das fällt in unsere Verantwortung. Ja, Inspektor Kuhn hat mich aufgrund unserer Freundschaft angerufen, aber ich hab mich nur darauf eingelassen, weil ich es sachlich für gerechtfertigt hielt. Deswegen habe ich auch nicht gezögert, auf unsere Ressourcen zurückzugreifen.«
Wertmüller grinste. »Oskar Leintz zum Beispiel. Sieht so aus, als hätten Sie den armen Jungen in Schwierigkeiten gebracht.«
»Er ist auf einer Treppe ausgerutscht.«
»Na klar.«
Wie auf ein Stichwort griff Franz nach der gelben
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