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Last Exit

Last Exit

Titel: Last Exit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olen Steinhauer
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fallen, und als es zerbarst, fuhren alle auf. Dann fing er an, still in seine Hände zu weinen.
    Schwartz ächzte, bevor ein Lächeln über ihre Lippen huschte. Sie stützte sich auf die Sofalehne und schob sich hoch. »Oskar, gehen wir nach oben. Mr. Weaver braucht etwas Zeit zum Nachdenken.«
    Oskar stand auf, während Milo weiter den Zerknirschten mimte. An der Treppe drehte sich Schwartz um. »Heinrich, Gustav – könnten Sie Mr. Weaver vielleicht ein bisschen beim Nachdenken helfen?«
    »Gern.« Heinrich trat zum Videorekorder, um wieder das Band einzulegen. Von hinten hörte Milo ein seltsames Quietschen, als sich Gustav von der Liege erhob.

13
    »Was meinen Sie?«, fragte Erika oben im ersten Stock. Das Treppensteigen hatte ihr zugesetzt, und Oskar half ihr zu einem Sofa beim Fenster. Keiner von beiden machte Licht, sie saßen im Dunkeln.
    »Ein professioneller Lügner.«
    »So viel ist klar, Oskar. Er weiß, dass er uns mit seiner Einlage als trauriger Perverser nicht hinters Licht führen kann. Wir wissen zu viel. Haben Sie sein Gesicht beobachtet? Das Material aus der Überwachungskamera hat ihn ganz schön ins Schleudern gebracht.«
    »Haben Sie vielleicht was zu essen?«
    »Hühnchen im Kühlschrank. Brot oben. Machen Sie gleich zwei bitte.«
    Während Oskar in der Küche belegte Brote zubereitete, starrte sie ins Leere, ohne den Druck japanischer Dämonen von Tawaraya Sōtatsu an der Wand wahrzunehmen. Eigentlich hasste sie dieses Bild, aber es war ein Geschenk der japanischen Botschaft, und sie musste ihre wenigen Geschenke vorzeigen. In diesem Moment war sie froh, dass ein Sōtatsu da hing und nicht etwas anderes; wenigstens konnte dieses grauenvolle Machwerk sie nicht von der Frage abbringen, wie sie weiter mit Milo Weaver verfahren sollte.
    Genervt stellte sie fest, dass sie immer noch diese vage Vertrautheit empfand. Es waren seine Gesichtszüge und
seine Halsstarrigkeit. Woher kannte sie das bloß? Sie verschwendete einige Zeit damit, ihre Gedanken zwanzig Jahre in die Vergangenheit schweifen zu lassen. Danach war sie sich in einem Punkt ganz sicher: Dieser Mann war ihr noch nie begegnet. Also schob sie das Gefühl beiseite und wandte sich wieder ihrer eigentlichen Aufgabe zu.
    Es war die klassische Verhörproblematik: Wie viel weiß der Befragte von dem, was man selbst weiß? Ist es besser, mehr Wissen vorzutäuschen oder weniger? Ist es besser, mehr oder weniger mitzuteilen?
    Dass Weaver einem verbündeten Dienst angehörte, machte die Sache nicht unbedingt leichter. Irgendwann musste sie ihn freilassen, und dann war mit unerfreulichen Konsequenzen zu rechnen. Um ihre eigene Position machte sie sich zwar keine großen Sorgen – sie war ja ohnehin schon auf dem Abstellgleis –, aber sie durfte nicht riskieren, dass wegen dieser Eskapade Oskars Karriere endete. Und dann war da noch Wertmüller. Sicher ein Taktierer, aber eigentlich kein schlechter Kerl. Sie glaubte zwar nicht, dass ihre Handlungen ihn direkt berührten, aber für Teddy war die Zukunft der Beziehungen zu den Amerikanern von größter Bedeutung. Und als sie so vor dem japanischen Bild saß und an den Amerikaner unten im Keller dachte, musste sie zugeben, dass er vielleicht gar nicht so unrecht hatte.
    Milo Weavers Verschleierungsversuchen hatte sie eine wesentliche Tatsache entnommen: Er arbeitete für jemanden. Entweder war er noch bei der CIA aktiv, oder er war ein Exagent, der für das organisierte Verbrechen tätig war. Auf jeden Fall nahm er die Schuld auf sich, um die Organisation hinter sich zu schützen.
    Aber stimmte das wirklich? Diese vorgespiegelte Reue mit dem Kopf in den Händen war doch nur eine oberflächliche
Pose gewesen. Auf so was fiel niemand herein. Wenn er also so unglaubwürdig gestand, sagte er vielleicht doch die Wahrheit – dass er ein einsamer Mörder war – in der Hoffnung, sie mit seiner Schauspielerei auf eine falsche Fährte zu locken.
    Nein. Sie hatte nicht das Gefühl, dass dieser Mann so weit und so berechnend vorausplante.
    Oder – und das war das Problem, wenn man so angestrengt über etwas nachdachte, was man einfach nicht wissen konnte – gehörte das alles nur zu seinem Spiel? Benutzte er Adriana nur als Vorwand, um etwas anderes geheim zu halten?
    Damit löste sich auch noch die einzige Erkenntnis auf, die sie aus diesem ersten Gespräch gewonnen hatte.
    Was Verhöre anging, war Erika keine Anfängerin. Sie wusste, dass die Frage nach seinem Auftraggeber beantwortet werden musste,

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