Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz
gewordene Utensil loszuwerden. Es machte Philipp ärgerlich, daß daraus das Wasser aufspritzte. Ebenfalls ein schwarzer Schirm; der Griff war abgerissen. Er sah seinen Atem. Einige Krähen flogen zwischen den tropfenden Ästen und der Wasser- oder Grasoberfläche hindurch, Warnrufe ausstoßend.
Laubmann war froh, als er die teilweise hell erleuchteten früheren Mühlen an der Regnitz erreicht hatte, die in ein studentisches Wohnheim, ein Restaurant und ein Hotel umgewandelt waren, weil er die sonderbare Unheimlichkeit abschütteln wollte und wieder Menschen begegnete. Dennoch blickte er sich, während er sich der Weinstube näherte, in der er mit Almut Werner verabredet war, ab und zu unsicher um, was sonst nicht seine Art war.
Noch wenige Schritte, dann trat Philipp in «Ottilies Weinstube» ein, die er von allen Lokalen bevorzugte – soweit er überhaupt Kneipen besuchte. Ein wenig mochte er die Weinstube auch deshalb, weil sie als Künstlerkneipe galt. Hier trafen sich seit jeher Künstler und Schriftsteller Bambergs. Außerdem führte man Weinsorten von einem Winzer, der ansonsten auch Meßwein lieferte. Philipp, der Meßwein nicht verschmähte, ihn aber hier nicht bekam, griff diesmal ersatzweise auf einen Weißwein des traditionsreichen Spitals zum Heiligen Geist zurück, wobei er anderen Gästen häufig, wenn ihnen dieser Wein nicht mundete, seinen Spruch nicht vorenthielt: «Im Spitalwein erholt sich der heilige Geist des Weines von schlechteren Jahrgängen.» Die Weinstube war in mehrere Räume unterteilt, ohne daß diese durch Türen voneinander getrennt waren. Es gab einen erhöhten Stammtischraum sowie tiefer gelegene Räume für die anderen Gäste. Philipp nahm allein am Stammtisch Platz, nachdem er die bereits fünfundsiebzigjährige Wirtin und die Bedienung begrüßt hatte, und ließ den Blick schweifen, ohne eigentlich etwas zu betrachten; er kannte ja schon alles: den dunklen Holzboden, die altertümlichen Tische und Sitzbänke; die hölzernen, paraventartigen Wände zwischen den Sitzgruppen, verziert im Stil des 19. Jahrhunderts; die meist gerahmten Wandbilder, vielfach Originale von Künstlern, die hier einstmals zu Gast gewesen waren. Er hatte sich sagen lassen, daß manche der Zeichnungen tatsächlich während eines Trinkgelages entstanden waren, und mochte es glauben, besonders wenn die Linienführung allzu verschlungen war.
Philipp saß schon geraume Zeit am Stammtisch in der Nähe des Fensters und sah den einzelnen Regentropfen nach, die draußen auf das schrägstehende Glasdach auftrafen und langsam herunterliefen oder sich da und dort stauten, abrupt durch ein Hindernis aufgehalten.
Dann stand sie mit einem Mal neben ihm, denn er hatte sie gar nicht hereinkommen sehen.
«Almut Werner», stellte sie sich vor. «Sie müssen Dr. Laubmann sein.»
Philipp, Frauen gegenüber nicht ohne Scheu, war sogleich aufgesprungen und hatte ihr aus dem Mantel geholfen, unter dem sie eine blaue Jeans und eine weiße Bluse trug. Er war über seine plötzliche Galanterie regelrecht erstaunt; sie hielt eine solche gewiß nicht für ungewöhnlich. Almut hatte lange und gelockte tiefbraune bis schwarze Haare und einen südländischen Teint. Sie hatte sich nur dezent geschminkt, was Philipp nicht auffiel, und lächelte ihn freundlich an. Was ihm auffiel, war, daß sie leicht schielte. Er schätzte sie auf Ende 30, was dem Alter von Franziska Ruhland entsprochen hätte.
«Sind Sie auch naß geworden? Draußen regnet's noch immer», sagte sie, um etwas zu sagen. «Ich muß mich ein bißchen aufwärmen.» Der mannshohe grüne Kachelofen in der Mitte der Weinstube war angeheizt.
«Wenn wir uns nicht verabredet hätten, wär ich eher daheim geblieben», antwortete Philipp. «Aber: Tempora mutantur, nos et mutamur in illis!»
«Da geb ich gern zu, daß ich nicht weiß, was das heißt», erwiderte Almut lachend.
«Die Zeiten ändern sich, und wir ändern uns mit ihnen.» «Wie recht Sie haben, bei mir hat sich auch vieles geändert; vor allem seit mich meine Cousine Elisabeth nur noch sehr selten begleiten kann. Mit ihr bin ich in früheren Zeiten abends oft weggegangen, egal, bei welchem Wetter, aber allein macht's mir keinen Spaß.» Sie bestellte Rotwein. «Mein Mann geht nicht gern aus, er ist nach seiner Arbeit immer froh, daheim bleiben und sich ausruhen zu können. Und unseren Sohn können wir noch nicht so ganz allein zu Hause lassen. Wenn die Lisa – ich meine, Elisabeth – da ist, dann geh ich mit
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