Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz
schlimm fand ich das auch gar nicht. Mit Elisabeth war das anders, obwohl ich's nicht so ganz durchschauen kann. Ihr Vater, der Bruder meines Vaters, ist früh gestorben; mit ihm hat sie sich sehr gut verstanden, ihn fast vergöttert, obwohl ich ihn als autoritär empfunden habe. Von ihrer Mutter hat sie sich mehr und mehr entfremdet. Nach dem Abitur hat sie erst einmal eine Weltreise gemacht, und dann hat sie angefangen zu studieren. Danach hatte sie die Möglichkeit, bei einem Forschungsprojekt einzusteigen, und ist ins Ausland gegangen. Irgendwie hat sie das Weite gesucht – oder die Weite. Sie hat sich innerlich verändert.» «Varium et mutabile semper femina», bemerkte Laubmann. «Was heißt nun das schon wieder?» fragte Almut beinahe vorwurfsvoll.
«Ein immer wieder anderes und wechselhaftes Wesen ist die Frau, erfahren wir bei Vergil.» Philipp spürte im selben Augenblick, daß ihm heute seine Sprüche mißfielen; er war nicht schalkhaft genug aufgelegt.
«Ist ja toll, daß Sie so viele lateinische Sprüche wissen, das bewundere ich, wirklich.» Meinte sie das spöttisch? «Lisa und ich telefonieren oft miteinander. Wenn ich nachher zu Hause bin, werde ich sie noch anrufen und sie informieren, daß Sie mit ihr sprechen wollen. Dann ist es Vormittag in Neuseeland; im Winter zwölf Stunden voraus. Da wird sie im Institut sein. Oder ich schreibe Ihnen ihre private EMail-Adresse auf. Das ist wahrscheinlich einfacher.» Daß er mit Computern nicht sonderlich vertraut war, sagte Philipp nicht. «Franziska und Elisabeth standen in regelmäßigem Kontakt, soviel ich weiß.»
E-Mails hatte er nur äußerst selten versandt. «I-Mäil», schon allein das Wort gefiel ihm nicht.
Die Wirtin hatte den Klassik-Sender des Bayerischen Rundfunks eingestellt. Wenn kaum Gäste in ihrer Weinstube waren, ließ sie gern CDs oder Platten laufen oder das Radio. So wurde gerade ein Vivaldi-Abend in Bayern 4 gegeben. Als Philipp Laubmann das Konzert für Fagott in E-Moll, und zwar Satz 1: Allegro poco vernahm, wurde er hellhörig; eines seiner Lieblingsstücke. Sentimentalität beschlich ihn – wie es sonst nur bei Verliebten geschah. Und doch vermochte es die Musik nicht, ihm über seine ungute Stimmung hinwegzuhelfen.Aber Verliebtsein war ja nichts als «ein Zustand vorübergehenden Schwachsinns», wie der Philosoph Ortega y Gasset es nannte. Ob das auch auf Erich Konrad und Franziska Ruhland zutraf?
Almut Werner mußte seinen abwesenden Blick bemerkt haben. Laubmann erklärte es ihr, schilderte ihr belanglos seine musikalischen Vorlieben, Vivaldi eben, Gregorianische Gesänge, zudem Marlene Dietrich und Hildegard Knef. Dann unterhielt er sich mit ihr über ihren wenig gebräuchlichen Vornamen, ob sie ihn mit th oder nur mit t schrieb, ja ließ sich von ihr darüber belehren, daß er von «Adelmut» abzuleiten war und «von edler Abstammung» sowie «von edlem Sinn» bedeutete. Zum Abschluß gab er die Meßwein-Geschichte zum besten; auch daß der bei der Meßfeier gebräuchliche Wein ein naturreines Produkt ohne chemische Zusätze und somit ein üblicher Qualitätswein sei, dem der Weinhändler den Stempel «Meßwein» aufs Etikett drücken dürfe, sofern er sich der Diözese gegenüber verpflichtet habe, solch einen Qualitätswein zu liefern. Der Wein würde folglich sogar von ungeweihten Personen verdaut werden können.
Sie ging auf seine Ausführungen nicht weiter ein, sondern ergriff die nächste Gelegenheit zum Aufbruch, da ihr Sohn erkältet sei. Laubmann war nicht unglücklich darüber, weil ihm heute nichts Gescheites mehr einfallen würde und er sich, für seine Verhältnisse, ziemlich kleinlaut vorkam. Das war nicht sein Abend. Immerhin half er ihr wieder in den Mantel und bestand darauf, ihre Rechnung zu begleichen – ein Rotwein. «Ich werde mich bei Ihrer Cousine melden.» Philipp verließ erst eine Stunde und zwei Schoppen Wein später das Lokal. Er scheute sich, hinaus auf die Straße zu treten und sich der Dunkelheit auszusetzen. Die Nachtwelt begrüßte ihn mit nur wenigen Lichtern von Werbeflächen, die sich auf der regennassen Straßenoberfläche spiegelten. Als er durch Seitengassen ging, um nach Hause zu gelangen, verschwammen das Oben und Unten im Schwarz. Die Häuser wollten weder im verhangenen Himmel noch in der tiefschwarzen Straße enden. Allein ein paar Straßenlaternen, die an Hauswänden befestigt waren, warfen unförmige Lichtkegel auf die Fachwerk- und Barockhäuser der Altstadt. Die
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