Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz
es nie akzeptiert. Ich habe sie jedoch nie darauf angesprochen.»
Auch die drei Kapuziner unterhielten sich mit Philipp so über die Kirchenpolitik im allgemeinen und über Dominikus Schultz im besonderen, als sei der gar nicht anwesend. Konrad hörte nur mit halbem Ohr zu. Er hatte an Schultz eine Frage. «Was ich wissen wollte, wie sind Sie mir denn neulich nachts in der ‹Grube› entkommen?» Laubmann hatte ihn nicht eingeweiht.
«Ich hatte vorgesorgt; ich hatte den Schlüssel. Mit dem bin ich in das Haus an der Gartenmauer gelangt. Ohne Mühe – und des öfteren. Ich konnte Ihre Wohnung jederzeit bequem erreichen.» Dominikus Schultz war plötzlich wieder stolz darauf, den ach so ehrenwerten Professor hinters Licht geführt zu haben.
«Der kann sich von mir aus ruhig aus dem Staub machen, jetzt, wo seine Identität aufgeflogen ist. Für unseren verehrten Glöcklein hat er jeden Wert verloren. Und nicht nur für den», bemerkte Laubmann zu Konrad, daß Schultz es mitkriegen mußte.
Dominikus Schultz stemmte sich hoch und humpelte ohne Umschweife, aber böse um sich blickend, davon. Keiner hinderte ihn daran. Kurz danach vernahmen sie einen aufheulenden Motor.
XIX
Laubmann war geladen; nicht: vorgeladen, sondern: wutentbrannt. Er stürmte aufs Geratewohl zu Glöcklein, egal, wie die Sache ausgehen mochte. Er wollte sich nicht aufhalten lassen, auch nicht durch die Schwester Sekretärin. Sie hatte ihn am videoüberwachten Eingangsportal des Palais per Knopfdruck und ohne Verzögerung eingelassen, weil Dr. Laubmann nicht zum ersten Mal am Amtssitz ihres Dienstherrn etwas vorzutragen hatte. Laubmann eilte die Steintreppe hinauf, ohne einen Blick für die barocke Pracht, und kam schneller als sein Klopfgeräusch zu ihr ins schmucklose Vorzimmer. Er nickte nur knapp einen Gruß und hielt aus reiner Höflichkeit inne, um ihr in wenigen Worten kundzutun, daß er dem Herrn Prälaten einen unaufschiebbaren Besuch abzustatten gedenke. Die Ordensschwester blickte irritiert: «Sie haben keinen Termin.» Sie war von ihrem kantigen Holzstuhl aufgestanden.
«Wenn er gehört hat, was ich ihm zu sagen habe, hatte ich einen Termin.» Laubmann verbarg nicht, daß er sogar ohne ihre Erlaubnis auf die Tür des Prälatenzimmers zuschreiten würde.
«So geht das aber nicht!» Die Schwester wollte eiligst den Bürotisch verlassen, um sich zwischen Laubmann und die Tür zu stellen, doch ihr schwarzes wallendes Ordensgewand verfing sich so unglücklich an ihrem Stuhl, daß er beinahe umgestürzt wäre.
In diesem Moment erklang zur Überraschung beider die Stimme Albert Glöckleins aus der Gegensprechanlage: «Lassen Sie ihn bitte eintreten, den Herrn Dr. Laubmann.» Der Prälat saß gerade über seiner Sonntagspredigt, machte sich Notizen auf Zetteln und Blättern verschiedener Größe, die über den Schreibtisch verteilt lagen. Mehrere Bücher, die schon ob ihres Gewichts auf theologische Inhalte hinwiesen, waren zum Exzerpieren aufgeschlagen. Glöcklein pflegte sich gründlich vorzubereiten. So auch auf sein neuestes Thema: Das Schweigen als Haltung der Demut. «Ich habe Sie bereits kommen sehen», sagte er doppeldeutig und hielt es in Anbetracht des überstürzten Eindringens seines Gastes nicht für nötig, sich von seinem «Thron» hinter dem Schreibtisch zu erheben. Der goldene Glanz seiner Brille und das schwere düstere Kreuz über ihm sollten die Besucher alles andere als erbauen. «Wenn Sie möchten…»; mit einer Geste lud er den wissenschaftlichen Assistenten Laubmann ein, sich auf einen der einfachen Gästestühle zu setzen. Laubmann hatte die Zimmertür etwas zu heftig ins Schloß fallen lassen, was ihm peinlich war, und er mußte daher aufpassen, seine Wut nicht gleich zu verlieren. «Ich habe nicht vor, lang zu bleiben.» Trotzdem nahm er Platz. In der Nacht davor hatte er im Brevier gebetet, im Band mit den Morgen- und Abendgebeten der Kirche, und erinnerte sich nun an einige Psalmenverse, die ihn angesprochen hatten: «Der Herr ist die Kraft meines Lebens: Vor wem sollte mir bangen? Dringen Frevler auf mich ein, um mich zu verschlingen, meine Bedränger und Feinde, sie müssen straucheln und fallen.» Besonders gut gefiel ihm die Wendung: «Ich muß mitten unter Löwen lagern, die gierig auf Menschen sind. Ihre Zähne sind Spieße und Pfeile, ein scharfes Schwert ihre Zunge.»
Glöcklein zeigte kein Entgegenkommen, etwa mit einer formelhaften Frage nach dem Wohlergehen seines Gastes, ja rührte sich nicht
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