Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz
eigenmächtigen Unternehmungen hingegen waren mir bis vor kurzem unbekannt. Den besagten Schlüssel hat er sich selber angeeignet, um nicht zu sagen, entwendet. Ich habe ihn unverzüglich zurückgefordert, als ich davon gehört habe. Pfarrer Schultz wurde im übrigen seiner Aufgaben hier am Ordinariat für die nächste Zeit entbunden.»
«Mein Kompliment», erwiderte Laubmann, «damit ziehen Sie ihn geschickt aus der Affäre; ich gehe davon aus, um unsere Mutter Kirche wiederum vor Schaden zu bewahren. – Wer soll denn in Zukunft die detektivischen Aufgaben übernehmen?»
«Als Detektiv war er nicht geeignet. Ich bedauere deshalb aufrichtig, daß Sie auf der falschen Seite stehen; Sie sind der bessere.» Wie schmeichlerisch.
Selbstverständlich behielt es sich die Kirche vor, Nachforschungen über die Sittlichkeit der ihr anvertrauten Personen anzustellen, etwa wenn ein Laie ein kirchliches Amt übernehmen sollte. Glöcklein befürwortete diese Vorgehensweise eindeutig, war eine solche doch außerhalb der Kirche ebenfalls nicht unüblich.
«Wissen Sie», sprach der Prälat von der anderen Seite des Tisches, als wollte er Philipp ins Vertrauen ziehen, «es fällt mir hin und wieder schwer, streng vorgehen zu müssen. Ich bin sehr wohl ein Freund des harmonischen Miteinanders, auch wenn Sie mir das nicht glauben werden. Aber ich bin der Überzeugung, im Sinne einer umfassenderen Harmonie in unserer Kirche und ebenso in unserer Gesellschaft ist Strenge unabdingbar. Professor Konrads zu verurteilendes Tun, sein Verhältnis, ist nicht bloß privater Natur, sondern auf dem Hintergrund seiner Funktion als Professor, Priester und demzufolge als Zölibatär gerade auch öffentlich zu sehen. Den vielen Kritikern des Zölibats kommt ein solches Verhalten nur allzu gelegen, denn diese schmähen die Institution Kirche, wann immer sie können.»
Es war Albert Glöcklein, aufgewachsen in einem gut katholischen Elternhaus und erzogen in einem streng katholischen Internat, von Jugend an als eine ehrenvolle Aufgabe erschienen, seine Kirche und ihren Glauben in Schutz zu nehmen. «Aber Respektlosigkeiten, wie die gegen den geheiligten Zölibat, können uns wie ihre Urheber, mit Verlaub, gestohlen bleiben. Wenn sich Kritiker deshalb von der Kirche verabschieden, bitte sehr; dann werden wir als Kirche ihr Weggehen bedauern, für sie beten und uns endlich in Ruhe unseren Aufgaben widmen.»
Prälat Albert Glöcklein holte ein fein gearbeitetes Kistchen aus einer Schreibtischschublade und entnahm ihm eine handgerollte Zigarre, Brasiltabak, um sie sich paffend anzuzünden. «Sie erlauben?» Auch Dr. Laubmann bot er eine an, der dankend ablehnte. Eine gute Zigarre wußte er zwar zu schätzen, und Glöckleins Zigarren besaßen Qualität, aber Philipp behagte die Atmosphäre nicht. Der Prälat richtete sich vor seinem hochlehnigen Sessel am Schreibtisch auf und wandelte, als Laubmann das Wort ergriff, zu einem der drei Doppelfenster, um es ein wenig mehr zu öffnen. Dies geschah freilich nicht ohne Absicht und keineswegs nur aus Rücksichtnahme, um den Rauch abziehen zu lassen. Gleich schräg gegenüber, jenseits eines engen Innenhofs, stand der Generalvikar – Vicarius generalis, inoffiziell auch GV genannt – in seinem Büro, der Mann mit Vollmacht in der Diözese, deren leitender Angestellter sozusagen im Gefolge des Bischofs. Er arbeitete an einem Stehpult und meist bei geöffnetem Fenster.
Glöcklein hatte nun den listigen Gedanken, sich weiterhin in der Nähe des geöffneten Zimmerfensters aufzuhalten und Laubmann munter reden zu lassen, etwa über den Zölibat, so daß, falls jener wortgewaltige Ketzereien von sich geben sollte, diese über die nur kurze Distanz unmittelbar dem GV zu Ohren kommen könnten.
Das war zweifellos hinterhältig, und Albert Glöcklein war sich dessen bewußt, ja fühlte sich nicht sonderlich wohl dabei. Doch es erging ihm hin und wieder so, daß er befürchtete, seinen Gegnern in Auseinandersetzungen nicht gewachsen zu sein, so daß er eben zu unorthodoxen Mitteln greifen mußte.
«Der Zölibat ist für das reibungslose Funktionieren unserer Kirche unabdingbar. Er ist für die Menschen eingesetzt worden und nicht gegen die Menschen gerichtet.» Glöcklein ließ eine Rauchwolke in die Luft aufsteigen. «Ich behaupte, wer sich gegen den Zölibat erhebt, richtet sich gegen die vorbehaltlose Liebe zu den Menschen.» Laubmann mochte bei dieser Disputation nicht zum Prälaten aufschauen müssen und
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