Laubmann 1 - Der zerrissene Rosenkranz
dringend rekonstruieren, wo Franziska Ruhland zwischen 20 Uhr 30 und 22 Uhr 50 gewesen ist», stellte der Kommissar fest. «Zumal wenn sie die Frau im Innenhof war, die Kappas beschrieben hat.»
Laubmann hegte Zweifel: «Bei den kümmerlichen Indizien?» Außerdem wollte er, wenigstens einmal, die Frage des Selbstmords aufgreifen. Könnte Franziska Ruhland nicht doch ein verzweifeltes Ende ihrer Liebesgeschichte vorausgeahnt haben?
Glaser winkte entschieden ab. «Dafür haben wir keinerlei Hinweise gefunden; nicht am Tatort, nicht bei den Befragungen der Zeugen oder der Verdächtigen, auch nicht bei der Wohnungsdurchsuchung. Der Sachlage nach ist ein Selbstmord definitiv auszuschließen. Jemand, der sich wirklich umbringen will, stürzt sich von einem Gebäude oder von einer großen Brücke, aber schlittert keine nur wenige Meter hohe und schräg verlaufende Böschung hinunter. Dabei holt man sich blaue Flecken, nicht den Tod.» «Es sei denn, er oder sie fällt vor ein Fahrzeug», dachte Laubmann laut.
«Also wenn jemand den Tod durch ein Fahrzeug bevorzugt, sucht er sich eine Intercity-Strecke. Er muß freilich Verspätungen einkalkulieren.» Klang darin Sarkasmus an? «Wir dürfen den Hüttenberger nicht vergessen», bemerkte Lürmann.
«Der fehlt uns noch, und zwar wörtlich.» Glaser war davon nicht erbaut, denn seine Fahndungsmaßnahmen hatten bisher nicht gegriffen.
«Und wie steht's mit dem Herrn Prälaten Glöcklein?» Ernst Lürmann wollte selbst ihn nicht außen vor lassen. Dietmar Glaser antwortete unerwartet heftig, weil ihm die Fragen lästig wurden: «Ach ja, und der Bischof zählt vielleicht ebenfalls zu den Verdächtigen?»
Laubmann wußte es besser: «Unser Bischof war am Tatabend bei seinem Prälaten Glöcklein im Liegenschaftsamt, und zwar zu einer Sitzung, die bis in die Nacht hinein gedauert haben muß. Das konnte ich neulich einem Protokoll entnehmen, das durch puren Zufall auf dem Schreibtisch der Amtsleiterin lag. Ganz ehrlich, es lag wirklich einfach obenauf.»
«War das nicht ein Vergehen gegen den Datenschutz?» meinte Lürmann penibel.
«Und falls Sie nach Dominikus Schultz fragen», überging Philipp Laubmann die Anspielung, «der war im Vortrag und hat alle ‹ketzerischen› Äußerungen notiert, sagt Professor Hanauer.»
Die beiden Kommissare stritten sich auf dem Rest der Strecke wegen der Autoheizung. Dem einen war's zu warm, dem andern zu kühl. Als sie das Kommissariat betraten, redeten alle drei von neuem hastig durcheinander und diskutierten schließlich im menschenleeren Treppenhaus über die diversen Rosenkränze des Falls: den zerrissenen vom Tatort, die von Hüttenberger erworbenen, gesammelten, verteilten, über den Handel mit Devotionalien im allgemeinen. Die Spuren lösten bei allen Mißmut aus, weil sich keine verwertbaren Indizien daraus ableiten ließen. Vor Dienstende wollte Kommissar Lürmann noch das Endergebnis seiner akribisch durchgeführten Nachforschungen über die Pfarrhaushälterinnen referieren. Sie hatten Glasers Büro besetzt und Kaffee in dicken Henkeltassen vor sich. Lürmann hatte dazu Zettel aus einer seiner Schubladen in seinem Büro hervorgekramt.
Er habe die undankbare Aufgabe zu erledigen gehabt, sich nach den Besoldungsvorschriften für Haushälterinnen zu erkundigen. Das hiesige Ordinariat habe ihm die Auskünfte, wie das in Pfarreien gehandhabt werde, erteilt, wenn auch nicht ausführlich genug.
Für die Haushälterin eines Pfarrers in einer Pfarrei bestünde ein Mischvertrag, der sie als Angestellte des Pfarrers und als Angestellte der Diözese ausweise, denn sie sei nicht nur für des Pfarrers Haushalt da, sondern in Ermangelung einer Ehefrau des Priesters auch eine pfarramtliche Ansprechpartnerin. Der Pfarrer zahle seiner Angestellten ein Grundgehalt, und er komme für Kost und Logis auf. Dafür erhalte er von der Diözese formal ein höheres Gehalt und Zulagen für seinen Haushalt sowie für die Sozialversicherung seiner Haushälterin, wobei das verwaltungs- und zahlungstechnisch direkt von der Diözesanverwaltung geregelt werde. «Trotzdem müssen die Haushälterinnen mit einer ziemlich mäßigen Rente auskommen, wenn der Pfarrer stirbt; hat man mir hinter vorgehaltener Hand erzählt.»
Dann habe er – um alle Zweifel zu beseitigen und speziell wegen Konrad – nach den Haushälterinnen von Theologieprofessoren gefragt, die Priester seien; ob deren Haushälterinnen genauso bezahlt würden. Nein, am Ordinariat wisse man dies
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