Laubmann 2 - Bärenzwinger
Zufall gewesen sein!» beschwor ihn Gisela Merten.
Laubmann war geistig zur Aktualpräsenz des Kriminalfalls zurückgekehrt. «In welche Richtung ist der Unbekannte gelaufen?»
«Ich glaube, er ist in die Richtung davongerannt, in die ich auch gelaufen bin. Aber sicher bin ich mir nicht; ich hab nach dem Licht gesucht und nicht sehr darauf geachtet.»
Laubmann spähte den Gang hinunter. «War es ein Mann oder eine Frau?»
«Nicht mal darüber bin ich mir sicher.» Die Tochter des Kastellans sah ihn mit einem treuen Blick an, als könnte er statt ihrer die Antwort erraten, und wirkte noch immer fassungslos.
«Sie gehen am besten hier in den Speisesaal, wahrscheinlich ist Ihre Mutter schon dort, und ich schaue mich ein wenig um.»
Gleich darauf marschierte Laubmann den Gang entlang. Er wollte zum Kaminzimmer, vielleicht zum Konferenzsaal oder hinaus in den Burghof. Bereits nach einigen Metern vernahm er ein leises Atmen und Schritte. Jemand kam hinter einer Ecke des Gangs auf ihn zu. Der Pädagogikprofessor Heribert Bach.
Philipp Laubmann stellte sich ihm in den Weg, und Bach wurde wütend, denn er schien sowieso in keiner gelösten Stimmung zu sein.
«Haben Sie irgend jemanden weglaufen sehen?» fragte Laubmann.
«Nein, tut mir leid, ich weiß von nichts.»
«Warum sind Sie denn so früh unterwegs?»
«Muß ich Ihnen schon über alles Rechenschaft geben, was ich tue?» fuhr ihn der Professor an. «Ich wollte mir in der Küche einen Kaffee holen, aber der ist noch nicht fertig.»
Laubmann ließ ihn ohne Erklärung stehen und hetzte weiter. Das Kaminzimmer war völlig leer. Abgestandener Zigarrenrauch hing in der Luft. Bach war also gerade eben nicht hier gewesen, um eine «frische» Zigarette zu rauchen; und die aktuellen Tageszeitungen mochten noch im Zeitungskasten vor dem Torhaus stecken. Das Kaminfeuer des Abends und der Nacht war bis auf einen Glutrest heruntergebrannt. Nur eine kleine Flamme flackerte auf. Laubmann trat näher und bemerkte ein fast gänzlich verkohltes Heft zwischen Glut und Asche. Jemand hatte anscheinend direkt vorher etwas verbrennen wollen. Rasch ergriff er den Schürhaken und schob die unverbrannten Papierteile zur Seite: Es war das alte Theaterprogramm von 1905, das ihm Gisela Merten in der Burgbibliothek gezeigt hatte, die einzige Reminiszenz an die «Don-Juan»-Inszenierung auf der Burg.
Er begab sich zu ihr in den Speisesaal, der nicht nur wegen des ausstehenden Frühstücks nüchtern wirkte. Sie saß etwas verloren am großen Tisch, hatte eine Tasse mit Kaffee vor sich und wärmte sich die Hände daran. Philipp präsentierte ihr mit rußgeschwärzten Fingern seinen Fund, ja er konfrontierte sie gewissermaßen damit.
Gisela blickte ungläubig darauf: «Das Programmheft aus unserer Bibliothek? Das verstehe ich nicht.»
In Laubmann kam der leise Verdacht auf, daß sie etwas mit dem Vorgang zu tun haben könnte; er sagte jedoch nichts. Immerhin schien es so, als hätte ein Indiz vernichtet werden sollen. Am Ende gar ein Indiz, das mit dem Theaterstück «Don Juan» in Verbindung zu bringen war?
«Wie kann ich denn am schnellsten etwas über das Stück und über Don Juan im allgemeinen herausfinden?» Laubmann spekulierte auf ein Literaturlexikon in der Burgbibliothek.
«Helen Winkels könnte Ihnen helfen, die Intendantin des Bamberger Stadttheaters», meinte Gisela Merten. «Wir kennen uns ja. Wenn Sie sich auf mich berufen, kriegen Sie bestimmt kurzfristig einen Termin.»
Laubmann nahm sich vor, noch heute vormittag mit der Intendantin zu telefonieren und, wenn sie Zeit hätte, in die Stadt hinunterzufahren. Zuerst wollte er sich freilich um die Tochter des Kastellans kümmern. Er hatte bei ihr ein «Eisen im Feuer», davon war er überzeugt, und das mußte er am Glühen halten! Immerhin hatte er sie gerettet.
Die Burg war langsam erwacht, allerlei Geräusche drangen aus den Fluren oder von draußen herein, die Eifrigen trabten zur Frühmesse. Laubmann hatte sich zu Gisela Merten an den unschönen langen Tisch mit dem Abendmahlscharakter gesetzt. Die kalte, sicher zweckmäßige Neonbeleuchtung regte den Appetit überhaupt nicht an. In der Küche klapperte Sophia Merten mit Geschirr.
«Ich werde uns was zum Frühstück holen!» Laubmann spielte den Kavalier und ging in die Küche zu Giselas Mutter. Er erklärte ihr sein Vorhaben und erkundigte sich bei der Gelegenheit, ob Professor Bach vorhin nach einem Kaffee gefragt habe.
«Mit dem hab ich nichts zu tun. Ich bin erst
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