Laubmann 2 - Bärenzwinger
jemand unter meiner Zimmertür durchgeschoben.» Er reichte Lürmann das Blatt.
Der Kriminalkommissar las den Text.
«Jemand will mich um Mitternacht am Grab des Doktor Marcus treffen, falls ich an entscheidenden Informationen zum Mordfall interessiert sei. Natürlich allein, wie das unter solch zweifelhaften Umständen wohl üblich ist. Und bitte zu niemandem ein Wort. Wie höflich. – Was halten Sie davon?»
«So ein Vorhaben ist gefährlich.» Lürmann prüfte das Blatt. «Ein einfaches Kopierpapier; wie es bei den Computern beziehungsweise Druckern verwendet wird, die für die Gäste bereitstehen. In den Computerraum kann jeder hinein und einen anonymen Brief verfassen und ausdrucken. Das kriegt niemand anderes mit.»
Laubmann übte sich in Selbstsicherheit: «Ich werde gegen Mitternacht am Grab sein. Eine solche Gelegenheit dürfen wir uns nicht entgehen lassen.»
«Ich werde Sie begleiten.»
«Nein. Dadurch würden wir es uns möglicherweise mit dem Informanten verderben. Der Informant hat nur mich als Informanden ausgewählt.»
«Wie bitte?»
Philipp fühlte sich allwissend: «Der Informant mit t ist der, der informiert; der Informand mit d ist der, der informiert wird.»
«Sie denken aber auch in den unmöglichsten Situationen an Dinge, die mir nicht mal im Traum einfallen.»
«Mit so was lenke ich mich nur ab», gestand Laubmann.
Lürmann wurde dienstlich: «Ich schlage vor, Sie holen sich aus meinem Zimmer meine Taschenlampe und kommen unauffällig hierher zurück. Ich werde das Licht hier drin ausschalten und lauschen, ob jemand die Burg durchs Torhaus verläßt.»
«Sofern mein Informant nicht schon draußen ist.»
‹Was möglich wäre›, dachte sich Ernst Lürmann. Doch diesmal hatte er zu bestimmen. Er händigte Laubmann den Zimmerschlüssel aus.
Die Eingangshalle des Palas, die Gänge dahinter, selbst das Kaminzimmer lagen – abgesehen von ein, zwei Notbeleuchtungen – im Dunkeln. Nur das Holzfeuer brannte noch, wenn auch schwächer. Die Damen und Herren hatten sich offenbar auf ihre Zimmer begeben und wahrscheinlich eingeschlossen, denn keiner traute dem anderen mehr so recht. Sogar die Mertens hatten sich zurückgezogen; Hans und Sophia in ihre Wohnung über der Burgschmiede, Gisela in ihr Apartment im Hauptgebäude. Petrus von Bebenhausen hatte ja gleich nach dem Vortrag von Professor Meister auf ein weiteres Zusammensein mit der Teilnehmergruppe verzichtet. Sie würden ihn doch nur stillschweigend verdächtigen. Und Franz Röttinger hatte sich frühzeitig verabschiedet, weil er seinem Gehirn Ruhe gönnen wollte.
Nachdem Laubmann wieder bei Lürmann in der Burgkapelle war, warteten sie in der Kälte etwa eine halbe Stunde, bevor sie sich ein wenig theatralisch voneinander verabschiedeten. Lürmann wünschte Laubmann Glück und beschwor ihn, sehr vorsichtig zu sein. Fehlte nur noch, daß sie sich umarmt hätten. Eines durfte für den Theologen aber nicht fehlen: die Finger der rechten Hand in die Weihwasserschale tauchen und sich bekreuzigen.
Philipp Laubmann schritt mutig über die Zugbrücke und leuchtete mit dem Strahl der Taschenlampe die Umgebung aus. Er begab sich auf den Treppenweg seitlich der Burg, der eigentlich hinab in die Stadt führte, und von dort aus nach links in den Wald. Der leicht abschüssige unbefestigte Pfad war des Tauwetters wegen aufgeweicht. Laubmann mußte aufpassen, nicht auszugleiten.
Er sprach rasch ein Stoßgebet zur heiligen Elisabeth von Thüringen, denn sie war seine Heilige. Sie galt in der gläubigen Verehrung als Patronin der Wohltätigkeit, also der Armen, Witwen und Waisen, und zudem als Patronin der unschuldig Verfolgten. Damit aber, fand der Moraltheologe Laubmann, war die Heilige aus der Zeit des Mittelalters auch die ideale Beschützerin der Detektive.
Er dankte ihr, daß die Finsternis nicht mehr so undurchdringlich war. Die Wolkendecke nämlich hatte sich aufgelockert, so daß hin und wieder ein bißchen Mondlicht durch die Laub- und Nadelbäume fallen konnte.
Bei der Grabplatte angelangt, die sich unterhalb eines steilen Abhangs befand, bemerkte er deshalb sofort, daß jemand an der auf jenen Abhang zu nächstliegenden Kante des Grabes Papier abgelegt hatte. Die weißen Blätter waren mit einem Ast gesichert, damit kein Wind sie wegwehen konnte. Er hob sie auf und richtete den Strahl der Taschenlampe darauf: das Tagungsprogramm und die Liste der Teilnehmer. – Sollte das alles gewesen sein?
Er hatte das laute Knacken über sich
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