Laubmann 2 - Bärenzwinger
meiner Lieblings-CDs. – Aber darüber sollten wir ein andermal sprechen.» Helen Winkels Termine waren eng geplant.
«Ja, richtig; ich wollte etwas über das Don-Juan-Motiv in der Theaterliteratur erfahren.»
«Don Juan ist, entgegen der landläufigen Meinung, eine sehr negative Figur in der Dichtung. Warum interessiert er Sie?»
«Frau Merten und ich haben oben auf der Burg ein altes Theaterprogramm gefunden, ‹Don Juan› von Molina, ein Stück, das offensichtlich dort aufgeführt worden ist…»
«Das ist ja toll!» unterbrach sie ihn. «Wir wollen nämlich Burgfestspiele veranstalten.»
«Das hat Frau Merten angedeutet. In meiner Person hätten Sie schon mal einen Abonnenten.»
«Zurück zum Don Juan und zu Ihrem Anliegen», sagte die Intendantin energisch. «Don Juan ist im Grunde ein bösartiger Charakter, der die Frauen nicht nur erobert, sondern entehrt und betrügt. Und zwar in der Maske der rechtmäßigen Partner. Don Juan verhüllt und verstellt sich.
Ganz anders als Casanova, bei dem die Sehnsucht nach der Lust im Vordergrund steht, der Lust des Liebespaares, welche die Individualität freilegt und sich gegen die bürgerlichen Konventionen durchsetzt. Casanova erregt Aufsehen, Bewunderung, wohingegen Don Juan mit dem Tode bestraft wird.
Die Thematik wurde im 16. Jahrhundert von Tirso de Molina aufgegriffen, als der alte Glaube ins Wanken geriet und man alles bezweifelte oder auf der Wissensebene verifizieren wollte.»
«Don Juan fungiert also gleichsam als Warnung: Schaut genau hin, schaut hinter die Dinge, es könnte alles auch ganz anders sein.» Laubmann dachte an das Wahrheitsthema.
«Molière macht später aus dem Don Juan sogar einen reflektierenden Intellektuellen. In Mozarts ‹Don Giovanni›, angelehnt an Da Ponte, finden wir schließlich einen ausgekochten Realisten.»
«Was ich mich nun frage: Läßt sich aus dieser literarischen Thematik irgendeine Verbindung zu Bamberg oder zur Babenburg ableiten? Ergibt sich also aus dem ‹Don Juan› eine Spur, die zur Lösung des Mordfalls beitragen könnte?»
«Eine Verbindung gibt es schon, zumindest zu Bamberg. Das Don-Juan-Motiv wurde nämlich von E.T.A. Hoffmann für eine Erzählung verwendet. Eine seiner frühesten Geschichten trägt bekanntlich den Titel ‹Don Juan› und kommentiert sozusagen die Mozartsche Fassung. Hoffmann nannte sich ja ‹Ernst Theodor Amadeus›, weil er Mozart so verehrte. – Kennen Sie die Erzählung Hoffmanns?»
«Nicht mehr so genau», gab Laubmann zu und hatte die Hoffmannsklause auf der Burg vor Augen, die nahe dem Tatort lag.
«Ein Reisender kommt in eine Stadt, von der wir wissen, daß Bamberg gemeint ist, und begibt sich in sein Hotelzimmer, das ans Theater grenzt. Plötzlich hört er laute Musik, klingelt nach dem Diener und fragt, was es damit auf sich habe. Der Hoteldiener weist ihn darauf hin, daß nebenan ‹Don Giovanni› von Mozart gegeben werde und man durch eine Tapetentür sowie über einen Korridor direkt ins Theater, und zwar zur Proszeniumsloge mit der Nummer 23 gehen könne. Sogleich erhebt sich der Reisende und gelangt zu dieser Loge und damit in eine andere, innere Wirklichkeit… – Der echte Durchgang, der Hoffmann bekannt war, ist übrigens bis vor einiger Zeit nachvollziehbar gewesen.» Bedauern schwang in der Stimme Helen Winkels mit.
«Und jetzt?» Die Möglichkeit, einen Schauplatz der Weltliteratur in Bamberg aufsuchen zu können, lockte Laubmann ungemein.
«Bei der letzten Renovierung mußte eine Betonwand davorgesetzt werden.»
‹Unfaßbar›, hätte Laubmann am liebsten gesagt, wußte aber nicht, inwieweit die Intendantin dafür mitverantwortlich war. «Wo war denn dieser Durchgang?»
«Wenn Sie mitkommen, kann ich’s Ihnen zeigen.»
Genauso schnell wie der Reisende bei Hoffmann dem Hausdiener gefolgt sein mochte, folgte Laubmann Helen Winkels in die Untiefen des Theatergebäudes.
Bei einer kurzen Führung durch die Korridore schilderte sie ihm beiläufig die Einrichtungen: «Dahinter sind die Werkstätten. – Und da drüben haben wir die Maske, die Requisite und den Fundus.»
Aus dem eigentlichen Theaterraum hörte man Schauspieler deklamieren. Ehrfürchtig und leise, mehr als er es in der Kirche tat, schritt Laubmann deshalb weiter. Durch einen Türspalt konnte er ins Theater blicken: Auf der hell erleuchteten Bühne standen die Schauspieler in ihrer Alltagskleidung, mit Textbüchern in der Hand. Die Bühne war ansonsten völlig leer. Und trotzdem hatte
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