Lauf des Lebens
die Zähne zusammen und verstärkte den Druck. Dione beugte ihren Kopf nach vorne und begegnete seinem Druck mit allen Kräften, die sie noch mobilisieren konnte. Sie spürte, wie sein Arm langsam, ganz langsam nachgab. Ein Energieschub durchströmte sie, wie immer kurz vor einem Sieg. Mit einem Schrei presste sie seinen Arm flach auf den Tisch.
Ihr Keuchen erfüllte den Raum. Ihr schneller Puls trommelte in ihrem Ohr wie der Hufschlag eines galoppierenden Pferdes. Sie lehnte immer noch an ihm, mit dem Kopf auf seiner Schulter, und spürte seinen rasenden Herzschlag. Langsam zog sie sich von ihm zurück und ließ sich gegen den Tisch sacken. Wie eine Lumpenpuppe warf auch er sich auf den Tisch. Er atmete ein paar Mal tief durch, und sein Gesicht nahm langsam wieder normale Farbe an.
Nach einer Weile legte er sein Kinn auf seine verschränkten Arme und betrachtete sie aus seinen dunkelblauen Augen, durch die immer noch Gewitterwolken jagten.
Dione nahm einen tiefen Luftzug und erwiderte seinen Blick. „Du bist sehr schön, wenn du dich ärgerst“, sagte sie.
Er blinzelte erstaunt und starrte sie dann einen langen Moment fassungslos an. Plötzlich entwich ihm ein seltsam glucksender Laut. Er schluckte. Das nächste Geräusch war Gelächter aus vollem Hals. Er warf seinen Kopf nach hinten und hielt sich hilflos den Bauch. Sofort fing auch Dione wieder an loszuprusten.
Brüllend vor Lachen warf sich Blake auf seinem Sitz hin und her. Die Schaltknöpfe seines Rollstuhls fingen sich einen weiteren Fausthieb ein, und durch die abrupte Bewegung des Stuhls und sein eigenes Hin- und Herschlingern wurde Blake im hohen Bogen vom Sitz katapultiert. Glücklicherweise verletzte er sich nicht dabei, denn Dione hätte gar nicht so schnell mit dem Lachen aufhören können, um ihm zu Hilfe zu eilen. Sie fiel ebenfalls von ihrem Stuhl, lag plötzlich neben ihm und zog ihre Beine an. „Hör auf, Schluss jetzt!“, japste sie, während ihr die Tränen übers Gesicht liefen.
„Hör auf, Schluss jetzt!“, äffte er sie nach, schnappte sie und kitzelte sie mit den Fingern zwischen den Rippen.
Noch nie in ihrem Leben war Dione gekitzelt worden. Sie kannte es schlicht nicht und war so verblüfft von dieser neuartigen Körpererfahrung, dass sie nicht einmal panisch auf seine Berührung reagierte. Sie kreischte einfach nur und versuchte hilflos, seinen unerbittlichen Fingern zu entkommen. Plötzlich ertönte eine Stimme hinter ihnen.
„Blake!“ Serena hielt sich nicht lange damit auf, Erklärungen für das Szenario zu ihren Füßen zu suchen. Sie sah ihren Bruder auf dem Fußboden liegen, hörte Dione kreischen und dachte sofort an einen schrecklichen Unfall. Sie verstärkte das Getöse mit einem verzweifelten Schrei, beugte sich über Blake und versuchte mit fahrigen Händen, ihn zu sich heranzurollen.
Obwohl Serena tagsüber eigentlich nicht anwesend sein sollte, war Dione dankbar für die Unterbrechung. Sie rollte sich fort von Blake und setzte sich schwankend auf. Erst da merkte sie, dass Serena fast hysterisch war.
„Serena! Es ist alles okay“, sagte Blake mit ruhiger, fester Stimme, denn er hatte schon vor Dione bemerkt, in welcher Verfassung sich Serena befand. „Wir haben nur herumgealbert. Ich bin nicht verletzt. Ich bin nicht verletzt“, wiederholte er.
Serena beruhigte sich langsam, etwas Farbe kehrte in ihr Gesicht zurück. Blake brachte sich in Sitzposition und schnappte sich die Decke, die normalerweise auf seinen Beinen lag. Als er sich zugedeckt hatte, fragte er barsch: „Was machst du eigentlich hier? Du weißt, dass du tagsüber nicht vorbeikommen sollst.“
Sie sah ihn an, als hätte er sie geschlagen, dann wich sie zurück und starrte ihn wieder wie betäubt an. Dione biss sich auf die Lippen. Sie wusste, warum er so barsch reagiert hatte. Daran, dass seine Therapeutin ihn in kurzer Sporthose sah, hatte er sich inzwischen gewöhnt. Doch bei allen anderen Personen, vor allem bei Serena, schämte er sich immer noch seines Körpers.
Serena hatte sich wieder gefasst und ihr Kinn stolz vorgestreckt. „Ich dachte, es würde sich hier um eine Therapie handeln, nicht um Kinderspiele“, schoss sie zurück und erhob sich. „Entschuldige die Störung. Ich hatte Gründe, dich aufzusuchen, aber es kann warten.“
An Serenas aufrechtem Rücken, den sie ihnen zuwandte, als sie zur Tür ging, ließ sich ihre ganze Empörung ablesen. Blakes reumütiges Rufen ignorierte sie.
„Verdammt!“, sagte er leise.
Weitere Kostenlose Bücher