Lauf, Jane, Lauf!
Croissants und Kaffee -, sah sie, daß eine Zeitung mit auf dem Tablett lag. Ihr Blick flog zwischen Zeitung und Fernsehapparat hin und her und verweilte bei keinem.
Wovor hatte sie Angst? Fürchtete sie ernstlich, ihr Bild auf der Titelseite wiederzufinden? Glaubte sie etwa, man habe sie für eine Talkshow zum Thema des Tages erkoren?
Noch immer in der ängstlichen Erwartung, sich ihrem eigenen Konterfei gegenüberzusehen, zwang sie sich, den Fernseher einzuschalten. Aber sie bekam nur eine hübsche Blondine Mitte Zwanzig zu sehen, die die Nachrichten in so frischfröhlichem Ton vortrug, daß ihr gleich wieder übel wurde, und die mit keinem Wort eine hübsche Brünette Anfang bis Mitte Dreißig erwähnte, die verschwunden war; dafür berichtete ein Mann aus Nord Carolina, er hätte Elvis gesehen, als er den Mülleimer ausleerte.
Und auch die Morgenzeitung brachte nichts: keinen Hinweis auf eine aus dem Gefängnis entflohene Strafgefangene, kein Wort von einer geistesgestörten Patientin, die sich davongemacht hatte. Man suchte keine Zeugin in Verbindung mit irgendeinem unerquicklichen Vorfall und wußte nichts von einer Frau zu berichten, die sich im Schock vom Ort eines schweren Unfalls entfernt hatte. Es stand überhaupt nichts in der Zeitung.
Wenn sie gar nicht aus Boston stammte, dachte sie, wenn sie nun aus einem anderen Teil des Landes kam und nur in Boston gestrandet war, dann bestand für die Lokalblätter ja auch kein Grund, über sie zu berichten. Aber das Blut auf ihrem Kleid war noch feucht gewesen, als sie es entdeckt hatte, und das konnte nur bedeuten, daß das, was sich ereignet hatte, was immer es gewesen sein mochte, nicht allzu weit entfernt und vor nicht allzu langer Zeit geschehen sein mußte.
Sie erinnerte sich an den Zettel, den sie in ihrer Tasche gefunden hatte - >Pat Rutherford, Z. 31, 12.30<. Stand vielleicht über
diese Person etwas in der Zeitung? Sie las das Blatt noch einmal durch und fand nichts. Wenn das Blut auf ihrem Kleid von Pat Rutherford stammte, dann hatte sich Pat Rutherford entweder in aller Stille und Unauffälligkeit wieder erholt oder lag noch immer irgendwo unentdeckt.
Da aus der Zeitung offensichtlich nichts zu erfahren war, konzentrierte sie sich auf den Fernsehapparat, schaltete von einem Programm zum anderen, sprang zwischen Good Morning America und der Today Show hin und her. Sie erfuhr, daß es Fachleute gab, die Wissenswertes über geschlagene Lesben und kleptomane Transvestiten zu berichten wußten, daß es ein wahres Heer junger Mädchen gab, die vor ihrem dreizehnten Geburtstag nicht nur ein, sondern mehrere Kinder geboren hatten, und daß es eine erschreckende Menge von Ehemännern gab, die keine Lust hatten, mit ihren Frauen zu schlafen. Sie erfuhr das alles von Leuten, die endlos darüber redeten und irgendwelchen Moderatoren im Fernsehen ihr Herz ausschütteten.
Sie dachte schon daran, beim Sender anzurufen. Ich habe eine super Idee für eine Show, würde sie sagen: Frauen, die nicht wissen , ob sie geschlagene Lesben oder kleptomane Transvestiten sind, die nicht wissen , wieviele Kinder sie vielleicht bis zu ihrem dreizehnten Lebensjahr zur Welt gebracht haben, die keine Ahnung haben, ob ihre Ehemänner öfter als zweimal im Jahr mit ihnen schlafen. Frauen, die nicht wissen, wer sie sind. Alter Hut, konnte sie die Leute vom Sender sagen hören. Solche Frauen gibt’s doch wie Sand am Meer.
Vielleicht, stimmte sie zu. Aber wieviele von ihnen haben fast zehntausend Dollar in den Manteltaschen und die Kleider voller Blut?
Ja, warum haben Sie das denn nicht gleich gesagt? hörte sie die Moderatoren in erregtem Einklang gurren. Reiche, blutbefleckte Frauen, die nicht wissen, wer sie sind! Mann, das ist eine Idee, die wirklich noch nicht da war.
Den Talkshows folgten Spielsendungen, dann kamen die Seifenopern. Die Bilder schicker und gepflegter Männer und Frauen flimmerten über den Bildschirm, und eine sonore Männerstimme kündete den Auftritt der Jungen und Rastlosen an. Jung und nutzlos, hörte sie den jungen Mann im Tante-Emma-Laden sagen, als sie sich zurücklehnte, um sich die Sendung anzusehen. Wer waren all diese problembeladenen schönen Menschen, und wieso waren sie am hellichten Nachmittag so aufgedonnert?
Widerstrebend holte sie ihr eigenes Kleid aus dem Schrank und betrachtete das blutdurchtränkte Vorderteil wie ein modernes Kunstwerk, vielleicht von Jackson Pollock. Aber es sagte ihr genausowenig wie ein abstraktes Bild. Heftig
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