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Lauf, Jane, Lauf!

Titel: Lauf, Jane, Lauf! Kostenlos Bücher Online Lesen
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verrückt? fragte sich Jane. Wieso bin immer ich diejenige, die sich solche Sachen leistet? Keiner sonst ist dem Kerl nachgelaufen. Keiner sonst hat versucht, die Kinder zu beschützen. Ihr Blick suchte die Blicke der anderen Erwachsenen, die zugegen waren, aber nirgends stieß sie auf eine Reaktion. Es war, als hätten sie alle Angst davor, etwas zu sagen oder zu tun, das sie neuerlich in Rage bringen könnte. Nur eine Frau, eine Mutter, die schützend den Arm um ein kleines Mädchen gelegt hatte, zeigte etwas wie Anerkennung. Selbst Emily hielt sich von ihr fern, als fühle sie sich für das unerhörte Benehmen ihrer Mutter verantwortlich.
    »Was ist?« fragte jemand hinter ihr.
    »Wie?«
    Die Flutwelle sank in sich zusammen. Jane stand wieder auf dem Trockenen und schluckte an den bitteren Resten ihrer Erinnerungen. Sie drehte sich um und sah Paulas beunruhigtes Gesicht,
sah in ihren Augen den gleichen Blick wie in den Augen der Eltern und Lehrer der Arlington Private School.
    »Glauben Sie, daß ich verrückt bin?« fragte sie Paula.
    Die trat automatisch einen Schritt zurück. »Sie haben es im Moment sehr schwer.«
    »Danach habe ich nicht gefragt.«
    »Aber es ist die einzige Antwort, die ich Ihnen geben kann.« Beide Frauen vermieden es, einander direkt anzusehen. »Kommen Sie, Jane. Steigen Sie wieder ein. Wir fahren nach Hause.«
    »Ich will aber nicht nach Hause.« Die Entschiedenheit des Tons überraschte beide. Paula zuckte zusammen, als fürchte sie, Jane wolle sie schlagen. Na und, ist das etwa nicht mein Normalverhalten? fragte sich Jane. Es ist ein Wunder, daß ich überhaupt noch am Leben bin. Es ist ein Wunder, daß mein Mann mich noch nicht in eine Anstalt gebracht hat. Ich bin eindeutig reif fürs Irrenhaus. Sonst müßte ich mich doch auch einmal an etwas anderes erinnern als an ein Sortiment von Wutanfällen.
    Aber vielleicht wollen diese Erinnerungen mir etwas sagen. Vielleicht steckt in dem, was mein Unterbewußtsein mir da offenbart, eine tiefere Bedeutung. Oder schlimmer noch. Vielleicht sind diese Erinnerungen nur die Ouvertüre, die die Handlung einführt, die den Boden für den großen Knalleffekt bereitet, für die krönende Wahnsinnstat, die mir beinahe zehntausend Dollar, ein blutverschmiertes Kleid und einen leeren Kopf eingebracht hat. Bin ich wirklich so verrückt, wie mein Unterbewußtsein mir weismachen will?
    »Ich möchte zu Michael fahren.«
    »Sie sehen Ihren Mann doch heute abend.«
    »Ich will jetzt zu ihm.«
    Paula versuchte, Jane durch die offene Tür in den Wagen zu drängen. »Ihr Mann hat sehr viel zu tun. Sie wollen doch nicht so einfach bei ihm hineinplatzen, während er mit seinen Patienten beschäftigt ist.«

    »Doch, genau das will ich.«
    »Das finde ich aber nicht gut.«
    »Fahren Sie mich zu meinem Mann«, befahl Jane. »Auf der Stelle.« Sie stieg in den Wagen und knallte die Tür hinter sich zu.
    »Sie sind wirklich unbelehrbar.« Paula setzte sich hinter das Steuer, um erneut den Kampf mit dem widerspenstigen Motor aufzunehmen.
    »Ja, darin bin ich Meisterin.« Jane war nicht zu beirren.
     
    »Da können Sie jetzt leider nicht hinein. Oh, Jane! Sind Sie es wirklich? Mein Gott, ich habe Sie gar nicht wiedererkannt.«
    Durch die großen, dicken Gläser ihrer Brille starrte die Vorzimmerdame Jane erschrocken an. Sehe ich wirklich so gräßlich aus? Jane versuchte, sich in dem Glas des Bildes zu erkennen, das hinter dem Schreibtisch der Sekretärin an der Wand hing, passenderweise ein Renoir, der zwei junge Mädchen in inniger Umarmung neben einem Klavier zeigte.
    Dann warf sie einen Blick auf das Namensschild der Frau und sagte: »Rosie«, als erkenne sie sie. »Ich muß unbedingt zu meinem Mann.«
    »Hat es nicht ein paar Minuten Zeit? Er hat gerade einen Patienten bei sich. Erwartet er Sie?« Die Skepsis in ihrer Stimme verriet, daß sie die Antwort schon wußte.
    »Ich habe Sie gewarnt, Jane«, sagte jemand neben ihr. Ach, Mist, Paula war immer noch hier. Machte diese Person denn nie mal Pause?
    »Er erwartet mich nicht, aber er will mich bestimmt sehen, wenn Sie ihm sagen, daß ich hier bin und ihn dringend sprechen muß.«
    Die Vorzimmerdame, dem Namensschild nach Rosie Fitzgibbons, klopfte zaghaft an die Tür zum Sprechzimmer und schob sich so geschickt durch den schmalen Spalt hinein, daß vom Wartezimmer
aus nicht einmal ein flüchtiger Blick ins Allerheiligste möglich war.
    »Wir hätten nicht herkommen sollen. Ihr Mann wird mir das sicher

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