Lauf, Jane, Lauf!
hinderlich, wenn nicht vielleicht sogar schädlich, wenn wir sie jetzt zurückholen würden.«
»Aber ich bin sicher, wenn ich sie nur sehen könnte...«
»Was? Daß dir dann schlagartig alles wieder einfällt?«
Jane nickte halbherzig. Glaubte sie das wirklich?
»Es ist unwahrscheinlich, daß es sich so abspielen wird«, sagte Michael. »Wenn das möglich wäre, wäre es höchstwahrscheinlich längst geschehen. Nein, bei dir scheinen sich die Erinnerungen eher sporadisch zu melden, sie scheinen in Schüben zu kommen, hier ein Stück und dort ein Stück. Ich will damit nicht sagen, daß diese Gedächtnisstörung auf Dauer anhalten wird, aber es wird sicher länger dauern, ehe sie ganz behoben ist und alle Erinnerungen wieder da sind.«
»Und wenn es Monate dauert?« Die Möglichkeit, daß es noch länger dauern konnte, wollte sie nicht einmal in Betracht ziehen.
»Dann müssen wir eben so lange warten.«
»Aber was wird in der Zeit aus Emily?«
»Jane, glaubst du denn im Ernst, es wäre gut für sie, wenn sie dich in deiner gegenwärtigen Verfassung sähe?«
Jane sank auf das kleine Ledersofa an der Wand. Sie brauchte keinen Spiegel, um zu wissen, was er meinte.
»Aber ich fühle mich heute morgen schon ein bißchen besser, Michael. Ich habe die Tabletten nicht genommen, und ich glaube...«
»Du hast deine Tabletten nicht genommen? Aber warum denn nicht? Hat Paula vergessen, sie dir zu geben?«
»Nein, nein. Sie hat sie mir gegeben. Ich habe sie einfach nicht genommen. Ich habe sie versteckt, als sie aus dem Zimmer ging.«
»Du hast sie versteckt? Jane, verhält sich so ein Mensch, der gesund werden möchte?«
»Aber sie haben mich doch erst richtig krank gemacht!«
Michael begann wortlos im Zimmer auf und ab zu gehen.
»Wirklich, Michael, ich habe mich in letzter Zeit so elend gefühlt, und die einzige Erklärung, die mir dafür einfiel, war, daß ich entweder einen Schlaganfall hatte...««
»Einen Schlaganfall?« Er sah sie an, als hätte sie völlig den Verstand verloren.
»Oder daß das Medikament so eine verheerende Wirkung auf mich hat. Vielleicht reagiere ich allergisch auf die Tabletten, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß ich die Tabletten heute morgen nicht genommen habe und mich viel besser fühle. Ich habe nicht mehr das Gefühl, daß mein ganzer Kopf zubetoniert ist. Es kommt mir nicht mehr so vor, als spräche ich durch einen Tunnel mit dir. Bitte sei mir jetzt nicht böse.«
Er ließ sich neben ihr auf das Sofa fallen. »Jane, Jane«, sagte er und nahm ihre Hände, »wie könnte ich dir böse sein? Natürlich bin ich dir nicht böse. Ich bin genauso frustriert und durcheinander
wie du. Ich möchte einzig und allein, daß du wieder ganz gesund wirst. Ich möchte meine Frau zurückhaben. Ich möchte meine Familie zurückhaben. Glaubst du denn, daß Emily mir nicht fehlt? Glaubst du nicht, ich würde alles darum geben, daß wir alle drei wieder zusammen sein können?«
»Das möchte ich ja auch - daß wir alle drei wieder zusammen sind.«
»Dann mußt du dich an Dr. Meloffs Anordnungen halten. Du mußt deine Tabletten nehmen.«
»Kann ich es nicht wenigstens eine Weile ohne sie versuchen? Wenn es mir in ein paar Tagen nicht besser geht, nehme ich sie wieder, das verspreche ich dir.«
»Damit würden wir nur weitere kostbare Tage verschwenden.«
Sie wußte keine Antwort. Was war das schon, ein paar kostbare Tage hin oder her?
»Es tut mir leid«, sagte er. »Ich will es dir wirklich nicht erschweren. Wenn du glaubst, daß die Tabletten dich krank machen, werde ich mit Dr. Meloff sprechen. Vielleicht kann er etwas anderes verschreiben. Und ich glaube, jetzt wäre der richtige Zeitpunkt für eine Hypnotherapie. Ich werde sehen, ob ich einen Termin vereinbaren kann.«
Es klopfte zaghaft.
»Ja?« sagte Michael.
Rosie Fitzgibbons schob sich in bewährter Manier durch den Türspalt herein. »Mr. Beattie bat mich, Ihnen zu sagen, daß er in zwanzig Minuten wieder im Büro sein muß. Wenn Sie Stuart jetzt nicht sehen können, muß er einen neuen Termin vereinbaren.«
»Nein, nein, das ist nicht nötig.« Michael stand auf. »Ich kann ihn jetzt sehen. Es ist dir doch recht, Jane?«
Jane stand hastig auf. »Soll ich gehen?«
»Aber nein. Weißt du was, ich komme zum Mittagessen nach
Hause. Da können wir in aller Ruhe weiterreden.« Er führte sie wieder ins Wartezimmer hinaus. Paula war noch nicht von ihrer Kaffeepause zurück. »Rosie, würden Sie sich um meine Frau kümmern,
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