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Lauf, Jane, Lauf!

Titel: Lauf, Jane, Lauf! Kostenlos Bücher Online Lesen
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übelnehmen.«
    »Ach, verzupf dich«, murmelte Jane unterdrückt und rieb sich den Kopf. Sie hatte den Eindruck, daß er schon lange nicht mehr so klar gewesen war.
    Ein Husten lenkte ihren Blick zu der Reihe von Stühlen, die dem Schreibtisch der Vorzimmerdame gegenüber an der Wand standen. Eine ziemlich verzweifelt wirkende Frau saß dort mit ihrer kleinen Tochter auf dem Schoß. Das Kind war blaß und unruhig, wollte mit keinem der Spielsachen spielen, die zu seinen Füßen verstreut lagen, sondern vertrieb sich die Zeit lieber damit, abwechselnd zu husten und zu jammern. Ihre Mutter sah auf ihre Armbanduhr, vermutlich mehr, um Janes forschendem Blick auszuweichen, als um die Zeit festzustellen. Sie hätte einfacher auf die große Micky-Maus-Uhr über der Tür sehen können. Der Uhr direkt gegenüber saßen ein Mann mittleren Alters und ein kleiner Junge mit einer Hasenscharte. Er hätte ebensogut der Sohn wie der Enkel des Mannes sein können. Der Junge spielte völlig selbstvergessen mit einigen Modellflugzeugen, wobei er die gekreuzten Füße seines Vaters (Großvaters?) als Start-und Landebahn benutzte. War Michael von einem dieser kleinen Flugzeuge am Kopf getroffen worden?
    »Entschuldige«, sagte sie und kniete neben dem Jungen nieder. »Darf ich mir das Flugzeug mal einen Moment ansehen?«
    Mit einem argwöhnischen Blick zu ihr drückte der Junge das Flugzeug fest an die Brust.
    »Du bekommst es sofort wieder. Ich verspreche es dir.«
    »Laß die Dame das Flugzeug sehen, Stuart.« Gehorsam gab Stuart Jane das Spielzeug.
    Jane wog das kleine Ding auf ihrer Hand. Es hatte kaum Gewicht. Wie konnte ein so leichter Gegenstand eine so gravierende
Verletzung hervorgerufen haben? Sie schloß die Augen und versuchte sich vorzustellen, wie dieses kleine Flugzeug mit solcher Geschwindigkeit durch die Luft sauste, daß es beim Aufprall auf den Kopf eines Erwachsenen eine große Wunde aufriß. Mußte ein Kind nicht sehr kräftig sein, um so ein leichtes Ding mit solchem Tempo und solcher Wucht fortzuschleudern?
    »Jane?« Plötzlich stand Michael neben ihr. Er half ihr hoch. Der kleine Junge riß ihr sofort das Flugzeug aus den Händen.
    »Entschuldigen Sie vielmals, Dr. Whittaker. Aber Jane war nicht davon abzubringen, hierherzukommen.«
    »Das macht doch nichts, Paula. Sie haben ganz richtig gehandelt. Was ist mit dir, Jane? Alles in Ordnung?«
    »Ich muß mit dir sprechen, Michael.«
    »Gut, dann sprechen wir«, stimmte er bereitwillig zu. »Komm mit in mein Zimmer.«
    Er führte sie durch das Wartezimmer. An der Tür zu seinem Sprechzimmer begegneten sie einer jungen Frau, die mit ihrem kleinen Sohn herauskam.
    »Vielen, vielen Dank, Dr. Whittaker. Für alles«, sagte die Frau leise und schüttelte ihm mehrmals die Hand.
    »Es war mir ein Vergnügen. Versorgen Sie mir den Kleinen gut, und lassen Sie ab und zu mal hören, wie es vorwärts geht.«
    »Er braucht nicht wieder zu Ihnen zu kommen?« Die Frau schien beinahe enttäuscht.
    »Höchstens wenn etwas Unerwartetes geschehen sollte. Aber Sie können mich natürlich jederzeit anrufen, wenn Ihnen etwas Sorgen macht.«
    Die Frau lächelte dankbar und schüttelte Michael noch einmal die Hand, ehe sie ging.
    »Paula, machen Sie doch eine kleine Kaffeepause, hm?« meinte Michael, und Jane hätte ihn am liebsten umarmt.
    Sie folgte ihm in sein Sprechzimmer, das seinem Arbeitszimmer zu Hause sehr ähnlich war - grüne Ledergarnitur, ein groϐer
Schreibtisch aus Eiche, an den Wänden hohe Bücherregale. Sie sah sofort ihre gerahmte Fotografie, die auf dem Schreibtisch neben einem Bild ihrer strahlenden Tochter stand.
    »Ich möchte Emily sehen«, sagte sie ohne Umschweife.
    »Das wirst du auch.«
    »Aber bald. Jetzt.«
    »Bald«, bestätigte er. »Nicht jetzt, Jane«, fuhr er fort, ehe sie protestieren konnte, »wir waren uns doch beide einig, daß sie im Augenblick bei meinen Eltern besser aufgehoben ist. Wir wollten warten, bis du dich wieder erinnerst.«
    »Ich fange an, mich zu erinnern.« Sie berichtete ihm eilig.
    »Jane«, sagte er leise, sorgfältig seine Worte wählend, »bitte mißversteh mich jetzt nicht. Es ist wunderbar, daß sich jetzt die ersten Erinnerungen melden, aber es ist nur ein Anfang. Du hast noch einen sehr langen Weg vor dir. Du hast ein paar Träume gehabt, du hast dich an einige dramatische Ereignisse erinnert, aber die Kleinigkeiten des täglichen Lebens fehlen dir immer noch. Meiner Meinung nach wäre es sowohl für dich als auch für Emily

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