Lauf, so schnell du kannst
eine Tasse Kaffee trinken.« Sie drehte den Kopf und warf ihm einen scharfen, schmaläugigen Blick zu. »Deine Fantasie kann warten.«
Er musterte ihr Gesicht, das ihm sagte: Leg dich bloß nicht mit mir an. »Du bist kein Morgenmensch, was?« Die Frage war offensichtlich rhetorisch. »Wenn Pinkeln und Kaffee immer wichtiger sind als Sex, werde ich diese spezielle Fantasie nie ausleben.«
»Wenn es dabei um Sex geht, bevor wir irgendetwas anderes tun, dann nein.« Aber sie lächelte, denn die Art, wie er seine Beschwerde formuliert hatte, machte klar, dass er erwartete …
immer
neben ihr aufzuwachen? Das war das Wort, das er benutzt hatte: immer.
»Immer« war etwas Definitives, aber sie gestattete sich nicht, darüber nachzugrübeln. Sie waren zusammen, und das auf eine Weise, die sie niemals auch nur annähernd für wahrscheinlich gehalten hätte, und das war im Moment genug. Wenn sie wieder in der wirklichen Welt waren und diese Situation geregelt war, dann konnten sie anfangen, über die Zukunft nachzudenken.
Sie hatte andere Dinge zu bedenken, unmittelbare Dinge, darunter die Tatsache, dass sie splitternackt war, und ungeachtet dessen, was sie während der Nacht getan hatten oder dass er sie bei brennender Laterne geliebt hatte, war es ihr immer noch peinlich, aus dem Schutz des Schlafsacks aufzutauchen und sich vor ihm anzuziehen.
Sie grübelte über die verschiedenen Möglichkeiten nach, wie sie mit dieser Situation umgehen könnte, als er den Schlafsack einfach beiseitewarf und aufstand. Sie jaulte auf, schnappte sich den Schlafsack und zog ihn bis zu den Schultern hoch, allerdings nicht nur aus Gründen der Scham. Die Temperatur war während der Nacht stark gesunken; als die kalte Luft auf ihre nackte Haut traf, überlegte sie, sich ganz unter der Decke anzuziehen. »Frierst du nicht?«
»Es ist kalt«, stimmte er zu, während er in eine Unterhose stieg und sich dann seine Jeans nahm und sie anzog. Nachdem er erst ein T-Shirt und dann ein Hemd angezogen hatte, schaltete er die Heizung ein. »Zieh dich einfach so schnell wie möglich an und bring es hinter dich, damit du den Kaffee aufsetzen kannst. Je schneller du dich bewegst, umso eher werden wir Kaffee haben.«
»Wo ist mein Hemd?« Sie hielt Ausschau nach dem Flanellhemd, das sie am Abend zuvor getragen hatte, und fand es halb unter den Vorhang gestopft. Eilig streifte sie es über, und erst dann tauchte sie unter dem Schlafsack auf, um sich fertig anzuziehen. Dare öffnete drei Wasserflaschen und goss sie in den Perkolator, dann maß Angie den Kaffee schnell in dem Filter ab. Während der Kaffee kochte und weiteres Wasser für heißen Haferbrei erwärmt wurde, trug Dare sie die Leiter hinunter – denn das ging schneller, als wenn sie erst geschaut hätte, ob sie eine Socke und einen Stiefel an den rechten Fuß bekommen konnte – und nach draußen.
Über allem lag eine dicke Frostschicht, die im Sonnenlicht wie Diamanten funkelte. Eis umrahmte jedes Loch und jede Senke im Boden, in denen noch Wasser stand. Ihr Atem bildete kleine Wolken vor ihrem Gesicht, selbst als sie in der Campingtoilette war, weshalb sie sich so sehr beeilen musste wie möglich. Ihr nackter Fuß war ein Eiszapfen. Aber der Himmel war wolkenlos klar, daher würden die Temperaturen wahrscheinlich gemäßigt sein; der letzte Wetterbericht, den sie gehört hatte, schien so lange zurückzuliegen, dass sie sich nicht mehr erinnern konnte, ob die Kaltfront, die nach den Gewittern kam, wirklich kalt oder eher gemäßigt sein sollte. Allein hätte Dare wahrscheinlich den ganzen Weg zurück zu Lattimore schaffen können, aber ihr Knöchel würde sie zu einem langsameren Tempo zwingen, und vielleicht würden sie Schutz für die Nacht suchen müssen. Sie würden Wärme brauchen, Essen, Wasser, den Schlafsack … Seit Langem daran gewöhnt, Ausrüstungslisten zu erstellen, schaltete ihr Gehirn automatisch in den Vorbereitungsmodus.
Nachdem sie fertig waren und Dare sie die Leiter wieder hinaufgeschleppt hatte – zum letzten Mal, wie sie hoffte –, setzte sich Angie auf die Matratze und wickelte den Knöchel aus. Der Kaffee war noch nicht fertig, verdammt; während sie darauf wartete, konnte sie genauso gut nachsehen, wo sie heute standen.
Kritisch untersuchte sie ihren Fuß. Die blauen Flecken waren noch immer da und begannen sich grün und gelb zu verfärben, aber der größte Teil der Schwellung war zurückgegangen. Ihre Zehen wirkten wieder normal. Außen war der Knöchel
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