Lauf, so schnell du kannst
Mahlzeiten mit Kunden betraf, aber sie hielt auch nichts davon, sich zu foltern, wenn sie es vermeiden konnte, daher würde sie heute Abend ganz bestimmt nicht mit diesen beiden Gästen essen.
»Ich habe schon gegessen«, antwortete sie, was eine freche Lüge war, aber na und? Sie würde sich etwas in der Küche machen oder bis zum Abräumen warten und sich dann einen Teller Eintopf nehmen. Lieber würde sie hungern, als mit ihnen zu essen.
»Haben Sie die Gegend schon erkundet, in die wir gehen werden?«, fragte Davis, als sie sich zum Essen hinsetzten.
Sie wollte gerade das Zimmer verlassen und blieb stehen. »Ja, vor einigen Tagen, als ich Vorräte zu dem Camp gebracht habe, das ich gemietet habe. Da gab es eine frische Bärenspur.«
»Aber Sie haben keinen Bären gesehen?«
»Nein, aber das hatte ich auch nicht vor. Ich wollte im Vorfeld keinem begegnen.« Sie war natürlich bewaffnet gewesen, aber sie war eben auch allein gewesen. Bären flößten ihr Angst ein, selbst wenn sie mit einer Jagdgesellschaft unterwegs war, darum würde sie ganz bestimmt keinen suchen gehen, wenn sie allein war. Das behielt sie natürlich für sich; es verstärkte nicht gerade das Vertrauen der Kunden, wenn sie wussten, dass ihr Tourleiter Angst hatte.
»Sie wissen also nicht, ob der Bär eine anständige Größe hat.«
Sein Tonfall machte klar, dass er dachte, dass sie bereits im Wildnisführer-Test Nummer zwei durchgefallen war, wobei der erste Test darin bestanden hatte, dass sie keinen neuen, glänzenden zweiachsigen Pick-up besaß, so wie Dare Callahan. Chad wirkte verlegen, spielte nervös mit dem Löffel und ließ ihn klappernd auf den Teller fallen. Angie schlug seinetwegen einen verbindlichen Ton an und ließ sich ihre Verärgerung nicht anmerken. »Doch, wenn man nach der Höhe der Klauenspuren an den Bäumen geht. Ich schätze, dass dieser Bär etwa zwei Meter zehn misst, was für einen Schwarzbären ziemlich groß ist.«
»Und woher wissen Sie, dass es ein Schwarzbär ist?«
»Von dem Fell, das sich an einigen Apfelbeersträuchern verfangen hatte. Es ist immer möglich, dass sich außerdem ein Braunbär in dem Gebiet aufhält, ohne mit dem Fell hängengeblieben zu sein«, antwortete sie, bevor er dieses Argument vorbringen konnte, »aber ich
weiß,
dass ein Schwarzbär in der Nähe ist.« Sie bewahrte eine eiserne Geduld und sprach in einem freundlichen, neutralen Ton.
»Wie sieht Ihr Plan aus, wenn dieser Bär seit Ihrem Besuch dort oben in den Winterschlaf gegangen ist?«
Bei diesem Mann kam ihr jeder Satz wie ein Verhör vor. Also versuchte Angie, noch mehr Geduld aufzubringen. »Wenn wir am ersten oder zweiten Tag keinen frischen Bärenkot finden, müssen wir tiefer in das Gebiet eindringen. Ein Bärenrevier erstreckt sich im Allgemeinen über zwei bis zehn Meilen. Zu dieser Jahreszeit sind sie nicht mehr so aktiv wie vorher im Jahr, aber einige ziehen immer noch herum. Das Wetter ist zum Glück relativ mild. Letztes Jahr um diese Zeit hatten wir schon einen Fuß hoch Schnee.« Der letzte Winter war furchtbar gewesen. Er hatte früh begonnen und einige Wochen länger gedauert als gewöhnlich, und sie hatte dadurch viel Zeit verloren, in der sie normalerweise wenigstens einige Fotografen hatte, die in die Berge wollten. Das war ein weiterer Nagel zu ihrem finanziellen Sarg gewesen.
»Wie lange machen Sie schon Führungen, Miss Powell, wenn ich fragen darf?«
»Fast schon mein ganzes Leben. Als Kind habe ich meinem Dad geholfen, und als ich dann älter wurde, habe ich begonnen, selbst Kunden in die Wildnis zu führen.« Das entsprach alles der Wahrheit; sie behielt allerdings für sich, dass ihre Solotrips als Teenager meistens Fotoexkursionen und Vogeljagden gewesen waren. Aber sie hatte ihren Dad oft auf seinen Jagdtouren begleitet, daher war sie keine Anfängerin. Er hatte es geliebt, ihr sein Wissen darüber beizubringen, wie man Spuren las, Wild in die Nähe des Jägers lockte und auch, wie man schoss. Was sie gelernt hatte, hatte sich ihr tief eingeprägt; und als er gestorben und sie wieder nach Hause zurückgekehrt war, hatte sie sich erneut und ohne zu zögern auf dieses Leben eingestellt.
»Die Brötchen sind toll«, meinte Chad in dem deutlichen Bemühen, das Thema zu wechseln, und nahm zum Beweis einen großen Bissen. »Hat Ihnen Ihre Mutter das Kochen beigebracht?«
»Nein, ich habe es mir vor langer Zeit selbst beigebracht, wobei es eine Menge Fehlversuche gab.« Sie legte Humor in ihren
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