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Lauf, wenn du kannst

Lauf, wenn du kannst

Titel: Lauf, wenn du kannst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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gekrochen. Sie hatte eine Rasierklinge herausgesucht. Sie hatte angefangen, ihre papierdünne Haut anzuritzen. Und dann hatte das Telefon geläutet. Ohne nachzudenken, war sie aus der Wanne gesprungen, um an den Apparat zu gehen. Ironie des Schicksals, dass es ein Telefonverkäufer gewesen war, der ihr ausgerechnet eine Lebensversicherung andrehen wollte. Catherine war in Gelächter ausgebrochen, hatte dann zu weinen angefangen, und während sie noch dagestanden und dem peinlich berührten Telefonverkäufer ins Ohr geschluchzt hatte, hatte sie den Werbespot im Fernsehen bemerkt.
    Fühlen Sie sich einsam? Sehen Sie keinen Ausweg mehr? Glauben Sie, dass Sie der ganzen Welt gleichgültig sind? Dann war eine Notrufnummer für Selbstmordgefährdete über den Bildschirm gelaufen. Und von einem bislang ungeahnten Überlebensinstinkt ergriffen, hatte Catherine aufgelegt und dann die Nummer gewählt.
    Eine halbe Minute später hatte sie der ruhigsten Männerstimme gelauscht, die sie je gehört hatte. Dunkel, beschwichtigend, amüsant. Auf dem Boden zusammengerollt, hatte sie ihn eine Stunde lang reden lassen.
    So hatte sie Jimmy kennengelernt, obwohl sie es damals noch nicht wusste. Notrufdienste hatten Regeln. Die Sachbearbeiter durften nicht zu viele persönliche Informationen preisgeben. Aber sie konnten Fragen stellen und die problembeladenen Anrufer zum Reden ermutigen. Und das hatte er getan, worauf sie ihm von ihrem unbefriedigenden Job, ihrer Wohnung und ihrer Mutter erzählt hatte.
    Es geschah nicht am nächsten Tag, das wäre zu auffällig gewesen, und auch nicht am übernächsten.
    Doch irgendwann kam Jimmy in das Kaufhaus, in dem Catherine arbeitete. Er spürte sie auf, flirtete mit ihr und machte ihr den Hof. Und sie stellte fest, dass ihr dieser charmante junge Mann mit der unglaublich ruhigen Stimme auf seltsame Weise ans Herz ging. Er lud sie zum Essen ein. Und sehr zu ihrer eigenen Überraschung sagte sie zu.
    Erst Monate später gestand er ihr, was er getan hatte. Ihr Anruf habe ihn so gerührt, dass er sie unbedingt persönlich habe kennenlernen müssen. Bitte, verrate es niemandem, hatte er sie reizend angefleht. Oh, sie würde ihn sonst in solche Schwierigkeiten bringen ... Damals hatte Catherine das romantisch gefunden. Dieser Mann hatte Himmel und Erde in Bewegung gesetzt, um eine Begegnung mit ihr herbeizuführen. Das war doch sicher ein Zeichen. Bestimmt bedeutete das, dass er sie liebte. Endlich sah das Leben wieder rosig aus.
    Erst später, nach ihrer Hochzeit, vielleicht an jenem Montagabend, als sie eine Bemerkung über sein Trinkverhalten fallen ließ, und er sie zu ihrem Entsetzen ins Gesicht schlug, meldeten sich die ersten Zweifel. Was für ein Mann benutzte einen Notruf für Selbstmordgefährdete als Kontaktbörse? Was verriet das über seine Vorstellung von einer zukünftigen Partnerin?
    Wie sein Vater liebte Jimmy die Macht, und er erinnerte Catherine gern daran, dass sie ohne ihn ein Nichts sei. Es machte ihm Freude, ihr vor Augen zu halten, dass er sie aus der Gosse gerettet hatte und sie jederzeit dorthin zurückwerfen konnte.
    Wenn Jimmy sprach, sah Catherine manchmal Richard Umbrio vor sich, wie er, das Sonnenlicht im Rücken, hoch über ihr aufragte und mit einer Hand den Holzdeckel anhob, mit dem er sie einsperren wollte. »Ich rate dir, dafür zu sorgen, dass mein nächster Besuch noch aufregender wird«, meinte er dann vergnügt. »Denn sonst könnte es durchaus passieren, dass ich beschließe, nicht wiederzukommen, So viel kann ich dir verraten, Cat, du weißt nie, wann ich dir alles nehmen werde.«
    Jimmy hatte nie vorgehabt, Catherine zu retten. Er wollte nur ausnutzen, dass sie bereits einschlägig vorprogrammiert war.
    Tja, dachte sie nun gelassen. Da hatte sie ihn eines Besseren belehrt.
    In Nathans Zimmer knipste sie die Deckenbeleuchtung an. Zwei Sechzig-Watt-Birnen strahlten von der Decke. Doch das genügte noch nicht. Für sie und Nathan würde es nie hell genug sein.
    »Cowboy«, murmelte Nathan, den Kopf schläfrig an ihre Schulter gelehnt. Gehorsam streckte sie zuerst die Hand nach diesem Nachtlicht aus. Klick.
    Nichts.
    Stirnrunzelnd versuchte sie es erneut. Kein Licht, das wie durch Zauberhand das fröhliche Gesicht des Cowboys beleuchtete. Offenbar war das Birnchen durchgebrannt. Sie ging zum nächsten Nachtlicht, das Muschelform hatte. Klick.
    Wieder nichts.
    Ob es an einer Sicherung lag? Vielleicht hatte die Polizei mit ihren vielen Scheinwerfern und

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