Lauf, wenn du kannst
Aufnahmegeräten ja die Stromversorgung überlastet. Catherine näherte sich der Kommode. Nathan wurde in ihren Armen immer schwerer. Zwei Tischlampen. Eine hatte einen Kaktus als Fuß, die andere ein steigendes Wildpferd. Mit zitternden Fingern und schneller gehendem Atem versuchte sie es bei beiden.
Nichts. Nichts.
Also gut. Schließlich standen ihr noch eine ganze Reihe von Alternativen offen. Wenn man eine Neurose hatte, musste man sie schließlich auch richtig ausleben, oder? In Nathans Zimmer gab es sechs Nachtlichter, drei Tischlampen und zwei Stehlampen. Die Deckenbeleuchtung funktionierte, was hieß, dass zumindest ein Teil des Zimmers mit Strom versorgt wurde. Sie musste nur die dazugehörigen Steckdosen finden, und die Lampen würden brennen.
Inzwischen bewegte sie sich schneller. Nathan hob den Kopf von ihrer Schulter, als spüre er ihre Aufregung. »Mommy, ich will Licht.«
»Ich weiß, Schätzchen, ich weiß.«
Die verdammte Bärenlampe funktionierte auch nicht. Zweihundert Dollar. Sie hatte sie in Denver entdeckt und als Geschenk nach Hause geschickt. Die antike Schreibtischlampe aus Messing, fünfhundert Dollar in einem winzigen Laden in der Charles Street, ebenfalls außer Betrieb. Catherine schaltete die Stehlampen ein, deren Halogenbirnen die ganze Decke beleuchteten.
Nichts.
Noch mehr Nachtlichter. Kleine Lichtpunkte, geziert von Buntglasbildern, einem roten Elmo aus Plastik oder einem grinsenden Winnie-Puh. Sie mussten doch einfach funktionieren. Wenigstens eine, zwei oder drei. Mein Gott, es musste in diesem riesigen Raum doch etwas geben, was die Dunkelheit durchbrach.
Inzwischen atmete Catherine schwer und fast keuchend. Nathan machte sich steif, stemmte sich gegen sie und bäumte sich ängstlich auf.
»Licht, Licht, Licht!«
»Ich weiß, ich weiß.«
Zum Teufel mit diesem Zimmer. Es war einfach zu groß und zu unübersichtlich. Wozu brauchten zwei Menschen so viel Platz? Sie drückte ihren Sohn an sich und floh ins angrenzende Bad. Mit einer raschen Handbewegung betätigte sie den Lichtschalter und wartete darauf, dass der weiß gekachelte Raum im grellen Licht erstrahlte.
Nichts.
Wieder drückte sie auf den Lichtschalter. Dann noch einmal. Inzwischen spürte sie, wie Hysterie in ihrer Kehle aufstieg.
Nathan zappelte in ihren Armen. »Mommy, Mommy, Mommy, wo ist das Licht? Ich will Licht!«
»Ich weiß. Pssst, mein Kleiner, pssst.« Da fiel es ihr ein. Der Wandschrank. In der kleinen begehbaren Kammer gab es zwei weitere Sechzig-Watt-Birnen. Dort konnten sie sich in dem winzigen Lichtkegel zusammenkauern und warten, bis die Nacht vorbei war.
»Nathan, mein Schatz, das ist jetzt ein Abenteuer.«
In dem Versuch, ihn zu beruhigen, streichelte sie ihm den Rücken und floh aus dem Bad in Richtung Wandschrank, wo sie die verspiegelte Tür aufschob und mit der Hand nach dem Lichtschalter tastete. Klick.
Licht. Helles, strahlendes, wunderbares Licht. Es durchflutete den Raum, griff mit seinen Strahlen in jede dunkle Ecke und verdrängte die Schatten. Traumhaftes Licht.
Catherine warf einen Blick in den Wandschrank und schlug die Hand vor den Mund, um einen Aufschrei zu unterdrücken.
Da lagen sie, mitten auf dem Fußboden, damit sie sie auch ja nicht übersah – jede einzelne Glühbirne aus allen Lampen im Raum. Jemand hatte sie herausgeschraubt und zu einem einfachen Wort mit drei Buchstaben angeordnet.
BUH.
Catherine presste das Gesicht ihres Sohnes an ihre Schulter und taumelte aus dem Wandschrank. Dann stürzte sie auf den Flur hinaus und die Treppe hinunter. Im Foyer griff sie nach Mantel, Handtasche und Autoschlüsseln. Den uniformierten Polizisten würdigte sie keines Blickes, und sie sparte sich die Mühe einer Erklärung.
Sie floh aus dem Haus. »Licht, Licht, Licht«, schluchzte Nathan.
Aber es gab kein Licht. Das verstand sie besser als jeder andere. Nathan und sie waren nun ganz allein in der Dunkelheit.
30
Sie haben mir erzählt, Sie und Ihr Vater hätten, was das Trinken anging, eine Abmachung getroffen«, sagte Elizabeth. »Soweit ich mich erinnere, sprachen Sie von einem Zwischenfall, bei dem er mit Alkohol am Steuer erwischt worden sei, was ihm einen solchen Schrecken eingejagt habe, dass er beschlossen hätte, nicht mehr zu trinken.«
»Ich habe gelogen.«
»Lügen Sie oft?«
Bobby zuckte die Achseln. »Für manche Dinge braucht man eben eine gesellschaftsfähige Erklärung. Ich habe nämlich keine Lust, überall herumzuposaunen, dass mein Vater
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