Lauf, wenn du kannst
wieder einfiel. Sie kannte es von ihrer Mutter. Damals in der guten alten Zeit, bevor der Mann erschienen war, der seinen verschwundenen Hund suchte.
Sie hatte Nathan vorgesungen, und als sie wieder aufgeblickt hatte, war ihr Vater fort gewesen.
Später, nachdem Nathan eingenickt war, war sie zu ihrem Vater nach unten gegangen. Er saß in seinem Fernsehsessel und starrte ins Leere.
Als sie ihm von Prudence erzählte, erwiderte er nichts. Sie sprach über Tony Rocco und erklärte, die Polizei denke, sie habe Jimmys Tod geplant. Dann fügte sie hinzu, ihr Schwiegervater schrecke vor nichts zurück, um ihr Nathan wegzunehmen.
Nachdem sie fertig war, ergriff ihr Vater endlich das Wort. »Ich verstehe nicht ganz«, sagte er.
»James steckt dahinter, Dad. James Gagnon. Er ist überzeugt, dass ich Jimmy etwas angetan habe, und fest dazu entschlossen, sich das Sorgerecht für Nathan zu erkämpfen.«
»Du hast doch gesagt, ein Polizist hätte Jimmy erschossen.«
»Ein Scharfschütze der Polizei hat Jimmy getötet, aber James glaubt, ich hätte das irgendwie inszeniert und Jimmy dazu gebracht, mich mit der Waffe zu bedrohen. So als hätte ich ihn dazu gezwungen, vor den Augen der Polizei mit einer Pistole auf Nathan und mich zu zielen. James ist außer sich vor Trauer.«
Ihr Vater runzelte die Stirn. »Und das Kindermädchen war deshalb so bestürzt, dass es sich aufgehängt hat?«
»Sie hat es nicht selbst getan, sondern wurde ermordet. Jemand hat ihr das Genick gebrochen, das habe ich dir doch schon erklärt.«
»Das ergibt keinen Sinn.«
»Was ergibt keinen Sinn? Dass eine Frau ermordet worden ist? Oder dass es in meinem Haus geschah?«
»Deinen schnippischen Ton kannst du dir sparen, Catherine.«
»Jemand will mich umbringen!«
»Wir wollen keine voreiligen Schlüsse ziehen ...«
»Du hörst mir gar nicht zu! James will mir Nathan wegnehmen. Offenbar hat er jemanden damit beauftragt, jeden Menschen aus dem Weg zu räumen, der bereit sein könnte, mir zu helfen. Wenn ich Nathan nicht bald herausgebe, bin ich vielleicht die Nächste.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich ein gebildeter Mann wie der Richter zu einem Mord herablässt«, beharrte ihr Vater starrsinnig.
Catherine öffnete den Mund, doch nach einem Blick auf die ungerührte Miene ihres Vaters schloss sie ihn wieder. Es war zwecklos. Ihr Vater lebte in seiner eigenen heilen Welt und war fest dazu entschlossen, sich seine Nachbarschaft, die wöchentlichen Rituale, wie den Pokerabend am Mittwoch und das Grillen am Sonntagnachmittag, von niemandem streitig machen zu lassen. Eine Wirklichkeit, in der kleine Mädchen auf dem Heimweg von der Schule entführt werden konnten und in der der am meisten gefürchtete Mensch der Mann war, mit dem man das Bett teilte, hatte ihn von jeher überfordert.
Schon in ihrer Kindheit hatte er ihr nicht helfen können, und jetzt war er wieder absolut ratlos.
Leise stand sie auf und dachte wehmütig an Bobby Dodge. Ob sie ihn anrufen sollte ... Ein Schauder durchlief sie, und sie spürte ein leichtes, unerwartetes Prickeln an der Wirbelsäule. Es war ein Gefühl, das sie nicht kannte und das ihr ein wenig unangenehm war.
Sie ertappte sich dabei, dass sie sich sein Gesicht vorstellte. Sie hatte ihn berührt und versucht, ihn zu verführen, und fast hatte sie ihn so weit gehabt. Und dann ... Er hatte sie angesehen, sie betrachtet und bis auf den Grund ihrer Seele geschaut. Und das hatte alles verdorben.
Catherine ging nach oben zu ihrem Sohn.
Nathan wurde wieder unruhig und schleuderte den Kopf hin und her. Sie streichelte seine Wange, bis er sich beruhigte. Dann kniete sie sich neben das Bett und strich ihrem Sohn durch das weiche braune Haar.
»Ich werde dir immer glauben«, flüsterte sie. »Wenn du älter bist, kannst du mir alles erzählen, und ich glaube es dir.«
Kurz darauf kamen die Anrufe.
Der erste ging um neun Uhr morgens auf ihrem Mobiltelefon ein. Es war die Arzthelferin aus Dr. Iorfinos Praxis, die Nathans Termin um fünfzehn Uhr bestätigen wollte. Außerdem habe der Herr Doktor den Wunsch geäußert, ein ausführliches Gespräch mit Catherine zu führen. Ob sie vielleicht schon früher vorbeikommen könne? So gegen dreizehn Uhr? Nathan müsse sie nicht mitbringen. Es sei sogar besser, wenn Catherine allein käme.
Als Catherine auflegte, hatte sie bereits Herzklopfen. Arztgespräche unter vier Augen führten selten zu etwas Gutem.
Sie zitterte noch immer am ganzen Leibe, als sie hörte,
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