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Lauf, wenn du kannst

Lauf, wenn du kannst

Titel: Lauf, wenn du kannst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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Instrument aus Holz die süßesten Klänge entlocken konnten. Nun berührten diese Finger seinen Rücken und fanden die Knoten in seinen verspannten Muskeln. Sie zog ihm das Hemd aus und nestelte an seiner Hose.
    Sie war zu langsam. Er war hungrig und verzweifelt und brauchte etwas, was er nicht beim Namen nennen konnte. Doch instinktiv wusste er, dass sie es ihm geben konnte.
    Seltsam, dass er bis jetzt immer so zart mit ihr umgegangen war.
    Ihre Haut war feinstes Porzellan, ihre Schönheit zu rein, um sie zu beschmutzen. Nun riss er ihr das dünne Nachthemd vom Leib und schlug die Zähne in ihre runde Schulter. Seine Hände umfassten ihren Po und zogen sie an sich heran.
    Eng umschlungen landeten sie auf dem Dielenboden. Er lag unten, sie oben. Ihr Mund saugte an seiner Brust, ihr zierlicher, blasser Körper wand sich auf seinem kräftigen, dunkelhäutigen. Licht und Schatten, Gut und Böse. Sie stützte sich auf ihn und stieß auf ihn hinunter. Ihre Schultern waren zurückgestreckt, die Brüste ragten nach vorne. Sie brauchte ihn. Er brauchte sie. Licht und Schatten. Gut und Böse.
    In letzter Minute sah er die Frau.
    In letzter Minute sah er das Kind.
    Susan ließ einen kehligen Schrei hören. Er fing sie auf, als sie auf ihm zusammensackte. Er lag erschöpft auf dem Boden und empfand nichts als eine endlose Dunkelheit.

5
     
    Dr. Elizabeth Lane überlegte, ob sie sich einen kleinen Hund zulegen sollte. Vielleicht auch eine Katze. Oder was war mit einem Fisch? Sogar ein Vierjähriger konnte einen Fisch versorgen.
    Einmal im Jahr spielte sie mit diesem Gedanken, für gewöhnlich um diese Zeit, wenn die Feiertage drohten und die Leute begeistert verschiedene Familientreffen planten. Die leere Eigentumswohnung, in die sie allabendlich zurückkehrte, erschien ihr dann viel einsamer als im frühlingsdurchfluteten Mai oder im heißen, sonnigen August.
    Es war eine unsinnige Debatte, was insbesondere sie am besten hätte wissen müssen, denn sie besaß eine sehr schöne leere Eigentumswohnung: mehr als drei Meter hohe Decken, gewaltige Panoramafenster mit originalen Butzenscheiben, ein Dachgarten und schimmernde Kirschholzböden. Außerdem waren da noch die Möbel, die sie in ihren vielen Berufsjahren zusammengesammelt hatte – das tiefe schwarze Ledersofa, die Schränke aus Ahorn-Wurzelholz, die Soho-Lampen aus Edelstahl. Elizabeth war überdies sicher, dass Welpen und Seidenteppiche sich nicht sehr gut vertrugen. Allerdings schloss das Fische noch lange nicht aus.
    Und wenn die anstehenden Feiertage wirklich so ein Spaß gewesen wären, wäre Elizabeths Terminkalender zurzeit gewiss nicht aus allen Nähten geplatzt. Den Großteil der vergangenen vier Wochen hatte sie zehn Stunden am Tag damit zugebracht, ihren verschiedenen Klienten bei der Entwicklung saisonspezifischer Bewältigungsstrategien zu helfen. Die Bulimikerinnen mussten auf die Konfrontation mit der sich unter Speisen biegenden Thanksgiving-Tafel vorbereitet werden. Die Manisch-Depressiven brauchten ausreichend Medikamente, um die von Süßwaren und Geschenkewahn aufgeputschte Festtagsstimmung ebenso zu verkraften wie die unweigerlich zu Bruch gehenden Christbaumkugeln, den vertrocknenden Weihnachtsbaum und das Gefühl, von der ganzen Welt ungeliebt zu sein. Und nicht zuletzt musste sie alle Patienten – die Selbstzerstörer, die Zwangskranken, die Neurotiker und die Psychotiker – so weit in Form bringen, dass sie ihrer Verwandtschaft gegenübertreten konnten.
    Schon allein deshalb hätte Elizabeth dankbar für ihr ruhiges Zuhause sein müssen. Doch auch das schloss Fische nicht aus.
    Im Prinzip führte Elizabeth ein angenehmes Leben. Sie liebte ihre Eigentumswohnung, die Stadt und meistens sogar ihren Beruf. Allerdings ging sie unaufhaltsam auf die vierzig zu, und nicht einmal eine studierte Psychiaterin schaffte es, diesem Lebensalter ins Auge zu blicken, ohne das Gewicht des Gepäcks zu spüren, das sie mit sich herumtrug. Ihre gescheiterte Ehe. Die Kinder, die sie nie gehabt hatte. Die Entfernung, die sie von ihrer Familie in Chicago trennte. Anfangs war ihr das nicht so weit erschienen, doch inzwischen waren alle so beschäftigt und das Fliegen war so grässlich anstrengend, dass sie sich immer seltener auf den Weg machte. Auch ihre Eltern und die Familie ihrer Schwester hatten zunehmend weniger Zeit, und inzwischen hatte sie sie so lange nicht mehr gesehen, dass ein Besuch zu Hause nur zu peinlichen Situationen geführt hätte. Sie hätte

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