Lauf, wenn du kannst
menschenleer. Bobby und Catherine stellten sich in einem wie zufällig wirkenden Abstand zueinander auf. Dann begann Catherine zu reden.
»Ich habe meinen Mann geliebt«, sagte sie leise. »Ich weiß, wie komisch das für Sie klingen muss. Als ich Jimmy kennenlernte, war er ... aufregend, großzügig, reizend. Er unternahm mit mir Spritztouren nach Paris und Einkaufsbummel. Ich ... ich habe in meiner Jugend etwas Schlimmes erlebt. Etwas Trauriges. Doch nachdem ich Jimmy begegnet war, schien alles plötzlich in Ordnung zu sein. Er war einfach für mich da und hat mir im wahrsten Sinne des Wortes den Kopf verdreht. Er war mein Ritter in schimmernder Rüstung.«
Bobby fragte sich, was »etwas Trauriges« wohl zu bedeuten hatte. Außerdem war er neugierig, warum Catherine Gagnon ihm das alles erzählte. Immerhin hatte er Jimmy Gagnon getötet. Er wollte nichts Persönliches über diesen Mann erfahren.
»Ich habe mich in Jimmy geirrt«, fügte Catherine unvermittelt hinzu. »Jimmy war kein Ritter in schimmernder Rüstung, sondern ein gewalttätiger Alkoholiker, ein charismatischer Mann, der seine Mitmenschen um den Finger wickelte. Er lächelte einen an, wenn er es schaffte, seinen Willen durchzusetzen, und bedrohte einen mit dem Messer, sobald es nicht nach seinen Vorstellungen lief. Er verkörperte alle Eigenschaften, die mein zukünftiger Ehemann, wie ich mir geschworen hatte, niemals haben dürfte. Aber ich erkannte es nicht. Ich begriff es erst, als es schon viel zu spät war, und dann fragte ich mich ... Ich hatte es doch eigentlich besser gewusst. Warum also hatte ich trotzdem einen Menschen wie ihn geheiratet?«
Sie brach so plötzlich ab, als müsse sie sich in letzter Minute einen Kraftausdruck verkneifen. Wieder wandte sie sich ab, aber ihre Schritte klangen nun hart, als sie aufgebracht in dem kleinen Raum auf und ab ging.
»Hat er Sie geschlagen?«, erkundigte sich Bobby.
»Ich kann Ihnen die Verletzungen zeigen.« Sofort wanderten ihre Hände zum Gürtel ihres Kleides. Er hielt sie mit einer Handbewegung zurück.
»Warum haben Sie das nicht der Polizei gesagt?«
»Es waren Bostoner Polizisten. Jimmys Vater, Richter Gagnon, hatte bereits eindeutige Anweisungen gegeben: Falls Jimmy in Schwierigkeiten geraten sollte, sollten die Polizisten ihn verständigen, damit er sich persönlich darum kümmern könnte. Jimmy prahlte gerne damit. Insbesondere kurz bevor er mich bewusstlos schlug.«
Bobby runzelte die Stirn. Geschichten wie diese, die von pflichtvergessenen Polizisten handelten, schmeckten ihm gar nicht. Allerdings deckte sich die Schilderung mit dem, was die beiden Kollegen von der Bostoner Polizei ihm erzählt hatten: Jimmy Gagnon sei ein ziemlicher Rabauke gewesen und habe seinen Vater als seine ganz persönliche »Sie kommen aus dem Gefängnis frei«-Karte benutzt.
»Und Ihren Sohn?«
»Jimmy hat Nathan nie angerührt. Dann hätte ich ihn nämlich verlassen.« Die Antwort kam zu schnell.
»Für mich reicht es, dass der Typ Sie verprügelt hat. Das wäre doch eigentlich genug Grund gewesen, den Kleinen zu nehmen und abzuhauen. Selbstverständlich hätten Sie dann auf einige finanzielle Annehmlichkeiten verzichten müssen.«
»Jimmy hatte kein Geld.«
»Ach, wirklich? Und wie kommt er dann zu einem Haus mitten in Back Bay?«
»Sein Vater hat es gekauft. Die meisten Sachen, die wir hatten, gehörten eigentlich seinem Vater. Jimmys Geld liegt in einem Treuhandfonds fest. Sein Vater ist der Vermögensverwalter und verteilt es nach Gutdünken. Diese Klausel hat Jimmys Urgroßvater mütterlicherseits festgelegt, der viel Geld im Ölgeschäft gemacht hat und befürchtete, zukünftige Generationen könnten das Familienvermögen verschleudern. Seine Lösung sah so aus, die Gelder in Treuhandfonds zu stecken, die erst aufgelöst werden dürfen, wenn der Erbe das fünfundfünfzigste Lebensjahr vollendet. So hat es bis jetzt jede Generation gehalten. Also ist die Familie wohlhabend. Maryanne hat an ihrem fünfundfünfzigsten Geburtstag eine wirklich unanständige Summe geerbt, aber Jimmy ... Jimmy besaß kein eigenes Geld.«
»Und nun nach Jimmys Tod?«
»Das Geld geht direkt an Nathan über, ebenfalls in Form eines Treuhandfonds. Ich bekomme keinen Cent. Ich kann sehen, wo ich bleibe.«
Bobby war noch nicht überzeugt. »Aber Nathans Sorgeberechtigte ist doch sicherlich finanziell abgesichert.«
»Nathans Sorgeberechtigte erhält eine monatliche Apanage«, räumte Catherine ein. »Offenbar
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