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Lauf, wenn du kannst

Lauf, wenn du kannst

Titel: Lauf, wenn du kannst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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ist ja kein harter Alkohol. Mein Bruder und ich waren noch klein und haben ihm geglaubt. Obwohl wir nach einer Weile alle wussten, dass es mehr als nur ein paar Biere waren.
    Als ich an der Polizeiakademie war, bin ich nach dem Dienst oft mit meinen Kollegen einen trinken gegangen. Wir haben uns getroffen, hatten Spaß und haben uns ein paar Bierchen genehmigt. Sie wissen schon, weil mir das beim Ausspannen half. Und irgendwann kam dann der Punkt, an dem es mehr als nur ein paar Bierchen wurden. Vielleicht waren es sogar ziemlich viele. So viele, dass ich am nächsten Tag immer öfter zu spät zur Arbeit kam. Dann, eines Nachts, erhielt ich einen Anruf. Ein Kumpel von mir war gerade an einen Unglücksort gerufen worden. Autounfall ohne Fremdeinwirkung. Beteiligte: mein Vater und ein Baum. Die schlechte Nachricht war, dass mein Vater die Birke mit sechzig Stundenkilometern umgenietet und seinen GM-Pickup um den Baum gewickelt hatte. Die gute Nachricht lautete, dass er mit einer Platzwunde am Kopf davongekommen war. Das Auto hatte zwar einen Totalschaden, aber ihm selbst war nicht mehr passiert.«
    Bobby blickte vom Teppich auf. »Mein Vater hatte getrunken. Als er ins Röhrchen pusten musste, kamen 1,2 Promille heraus. Er hätte auf keinen Fall am Steuer eines Wagens sitzen dürfen, und es war ein verdammtes Glück, dass er außer dem Baumstamm niemanden erwischt hat. Diese Nacht hat ihm einen ordentlichen Schrecken eingejagt. Und mir auch. Es war wie in einem dieser Fernsehspots: Das hier ist dein Leben.
    Also haben wir einander etwas geschworen. Ich habe ihm versprochen, dass ich nicht mehr trinken würde, wenn er auch damit aufhört. Ich dachte, ich tue das, um ihm zu helfen. Und vermutlich glaubte er seinerseits, dass er mir hilft.«
    »Und hat es geklappt?«
    »Soweit ich weiß, halten wir beide uns seit fast zehn Jahren daran. Bis letzte Nacht.«
    »Warum also letzte Nacht, Bobby?«
    »Ich könnte jetzt antworten, weil ich ein Bier nach dem anderen ausgegeben bekommen habe«, erwiderte er ruhig. »Oder weil ich zum ersten Mal seit Jahren nicht in Rufbereitschaft war und deshalb etwas trinken durfte. Oder weil mir ein Bier nach zehn Jahren sicher nicht schaden wird. Ich könnte viele Begründungen vorbringen.«
    »Aber sie wären alle nicht wahr?«
    »Ich sehe ständig sein Gesicht«, flüsterte Bobby. »Immer wenn ich die Augen zumache, sehe ich sein Gesicht. Ich habe doch nur meinen Job gemacht, verdammt.« Er ließ den Kopf hängen. »Mein Gott, ich hätte nicht gedacht, dass es so schwer ist.«
    Sie antwortete nicht sofort. Die Worte hingen zwischen ihnen in der Luft und wurden immer schwerer. Schließlich führte Bobby die Coladose an die Lippen und schluckte. Als er dann zur Decke über der dunklen Vertäfelung aus Mahagoni hinaufblickte, stand wieder klar und deutlich Jimmy Gagnons Bild vor ihm. Eine weiße männliche Person, die Frau und Kind mit der Waffe bedrohte. Eine weiße männliche Person, die ehrlich erstaunt wirkte, als Bobbys 165-Grain-Geschoss in ihren Schädel einschlug. Willst du wissen, wie ein Toter aussieht?
    Verdattert.
    Und willst du wissen, wie andere Menschen den Mann anschauen, der ihn umgebracht hat? Mit Bewunderung, Mitleid und Angst.
    »Denken Sie daran, wieder mit dem Trinken anzufangen?«, erkundigte Elizabeth sich leise.
    »Ja.«
    »Glauben Sie, es könnte Ihnen helfen, wenn Sie einer Gruppe der anonymen Alkoholiker beitreten?«
    »Ich spreche nicht gern mit Fremden über meine Probleme.«
    »Meinen Sie, es hilft Ihnen, mit Ihrem Vater zu reden?«
    »Ich spreche nicht gern mit meinem Vater über meine Probleme.«
    »Wer kann Ihnen dann hellen, Bobby? Denn Sie brauchen Hilfe, das ist Ihnen hoffentlich klar.«
    »Wahrscheinlich Sie.«
    Sie nickte nachdenklich. »Ich muss Ihnen etwas sagen«, meinte sie nach einer Weile, »bevor wir weitermachen ... Ich hatte schon im Vorfeld mit diesem Fall zu tun. Ich habe ein Gespräch mit Richter Gagnon geführt.«
    »Was?«
    »Er war nicht mein Patient.«
    »Ach wirklich?« Bobby sprang auf und starrte Dr. Lane entgeistert an. Er traute seinen Ohren nicht. »Ist das denn kein Interessenskonflikt? Erst hören Sie sich die Probleme von jemandem an, und anschließend beraten Sie den Typen, der ihn gerade verklagt hat?«
    Dr. Lane unterbrach ihn mit einer Handbewegung. »Der Richter hat mich um meinen fachlichen Rat gebeten. Ich habe eine halbe Stunde lang mit ihm gesprochen und ihn dann an einen Kollegen verwiesen, der meiner Ansicht nach besser

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