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Lauf, wenn du kannst

Lauf, wenn du kannst

Titel: Lauf, wenn du kannst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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erinnerte. Er setzte sich auf eine der hölzernen Parkbänke neben eine ältere Frau, die die Tauben mit Brotkrümeln fütterte. Als sie ihn anlächelte, lächelte er freundlich zurück.
    »Ein wunderschöner Morgen«, sagte er.
    »Das ist es wirklich«, antwortete die Frau und lachte leise auf.
    Gestern Nachmittag hatte Mr Bosu auf Kosten seines Wohltäters X einen ausgedehnten Einkaufsbummel unternommen. Der hünenhafte, leicht bedrohlich wirkende Mann von der Faneuil Hall hatte sich in einen eleganten Herrn mittleren Alters verwandelt, der offenbar großen Wert auf körperliche Ertüchtigung legte. Armani und ein ordentlicher Haarschnitt wirkten eben Wunder. Die alte Frau verteilte weitere Brotkrümel an die dicken Tauben, die watschelnd ihre Füße umwimmelten. Mr Bosu legte den Kopf in den Nacken und hielt das Gesicht in die Sonne. Ach, war das schön, draußen zu sein.
    Im nächsten Moment begannen die Kirchenglocken zu läuten. Familien strömten die Vortreppe hinunter. Erst kamen die stolzen Väter, dann die abgehetzten Mütter und zu guter Letzt die johlenden Kinder.
    Mr Bosu schlug die Augen auf. Er liebte dunkelhaarige Mädchen mit großen weißen Schleifen in den langen, schimmernden Locken und lächelte den durcheinander laufenden Horden blonder Prinzessinnen in ihren weißen Rüschenkleidern und den auf Hochglanz polierten Lackschuhen zu. Die Eltern standen auf dem großen Platz vor der Kirche plaudernd beieinander, während die Kinder umhertollten.
    Fünf kleine Mädchen spielten Fangen. Zwei kleine Mädchen hielten sich an den Händen. Ein kleines Mädchen hatte sich ein wenig von den anderen abgesondert und jagte die auseinander stiebenden Tauben ...
    »Sind sie nicht reizend?«, sagte die alte Frau.
    »Etwas Hübscheres gibt es nicht auf der Welt«, stimmte er zu. »Erinnert mich an meine Jugend.«
    »Komisch, mich auch an meine.«
    Wieder lächelte er der Frau zu. Sie wirkte zwar ein wenig verdattert, erwiderte aber das Lächeln. Als er aufstand und in das Meer durcheinander laufender Kinderkörper hineinging, lief ihm der Lufthauch, den sie im Vorbeirennen erzeugten, wie ein Prickeln die Wirbelsäule hinauf. Er steuerte auf die Vortreppe der Kirche zu, stieg bis zu den beiden großen Türen hinauf, drehte sich um und ließ den Blick über sein Königreich schweifen.
    In der Stadt neigten die Menschen dazu, vorsichtig zu sein. Allerdings handelte es sich hier um ein besonders wohlhabendes Viertel, eine kleine Insel des Luxus’ inmitten einer Betonwüste. Außerdem wurden die Leute in der vertrauten Umgebung ihrer Kirche leichtsinnig. Sie waren viel zu sehr mit dem lebenswichtigen Knüpfen von Kontakten beschäftigt. Oder mit dem Wettbewerb, wer das richtige Auto fuhr oder den richtigen Kaffee trank. Obwohl sie überzeugt waren, dass sie den kleinen Johnnie oder die kleine Jenny aus dem Augenwinkel beobachteten, traf das meistens nicht zu. Kinder hatten nun einmal die Angewohnheit, sich unauffällig zu verdrücken, vor allem dann, wenn ihre Eltern mit anderen Erwachsenen sprachen.
    Und manchmal kamen sie eben nicht zurück.
    Wie aus heiterem Himmel wurde Mr Bosu von einem Drang ergriffen, einem wilden, unbezähmbaren Appetit, der aus seinen Eingeweiden aufstieg und fordernd jetzt, jetzt, JETZT schrie. Er beugte sich über die Treppe und ließ noch einmal den Blick über die kreischenden, lachenden und umhertollenden Horden schweifen. Er war ein Falke, der im Himmel kreiste. Da? Nein. Hier drüben? Nein. Dort. JA.
    Ein Kind allein. Ein kleines Mädchen, vielleicht vier Jahre alt, das einem vom Wind verwehten trockenen Blatt nachlief. Kein elterlicher Blick folgte der Kleinen. Kein aufmerksames Geschwister heftete sich an ihre Fersen.
    Es würde ein Leichtes sein, einfach die Treppe hinunterzugehen. Sich dem Mädchen zielstrebig, aber wie beiläufig zu nähern. Sich die Sicht versperrend zwischen sie und die anderen zu schieben. Sie ein wenig nach rechts zu manövrieren, bis sie hinter einem Baum stand. Dann ein letzter Blick nach links und nach rechts und noch ein wenig abwarten, bis sein Instinkt ihm zum Zugreifen riet. Schließlich brauchte er sie nur noch zu packen. In einem Sekundenbruchteil würde alles vorbei sein. KIND VERSCHWINDET AM HELLLICHTEN TAG, würden die Schlagzeilen lauten. VERZWEIFELTE ELTERN BITTEN DRINGEND UM HINWEISE.
    Aber sie würden keine finden. Nicht, wenn der unglaublich mächtige Mr Bosu im Spiel war.
    Er hatte die Treppe schon zur Hälfte hinter sich, als er wieder zu

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