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Lauf, wenn du kannst

Lauf, wenn du kannst

Titel: Lauf, wenn du kannst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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sich kam. Mit den Händen tastete er nach dem eisernen Geländer, und es kostete ihn Mühe – einen Zug nach dem anderen – tief durchzuatmen. Allmählich lockerte sich sein Griff um das Geländer, er öffnete die Finger und ließ langsam die Hände sinken.
    Er zwang sich, an die letzte Nacht zu denken. Den rostigen Blutgeruch, das Gefühl des Messers in seiner Hand, den Ausdruck aufrichtigen Erstaunens, der sich in das Gesicht eines anderen, ihm unterlegenen menschlichen Wesens gemalt hatte. Natürlich war es nicht dasselbe, aber befriedigender, als er erwartet hatte. So, als ob er sich aus Mitleid mit einer Frau verabredete, die zwar nicht sein Typ und nicht erste Wahl war, aber doch einiges an Unterhaltungswert versprach. Und was noch besser war: Er war zum ersten Mal dafür bezahlt worden. Im Voraus und in bar. Zehntausend Dollar. Als Mr Bosu gestern entlassen worden war, hatte ihn eine Fahrerin am Gefängnistor erwartet. Mr Bosu war in den Wagen gestiegen. Im Kofferraum stand schon ein Aktenkoffer bereit. Der Koffer enthielt einen Brief und eine hohe Geldsumme. Der Brief gab ihm seine Instruktionen, und außerdem lag ihm eine Liste bei. Neben jeder Zielperson stand ein Betrag. Ihm gefiel diese Methode.
    Natürlich war Mr Bosu nicht so dumm, wie sein geheimnisvoller Auftraggeber offenbar dachte. In dem Brief machte Wohltäter X den Vorschlag, dass die Zukunft sich einfacher gestalten ließe, wenn Mr Bosu ein Bankkonto eröffnen würde. Dann könne man das Geld direkt überweisen und so weiter und so fort. Wohltäter X erbot sich außerdem, Mr Bosu Ausweispapiere zu beschaffen. Er hatte sogar eine Liste von Banken beigefügt.
    Wohltäter X war ein Idiot. Schließlich wurden Banken überwacht. Überweisungen konnte man nachverfolgen. Zudem hatten Banken sonntags nicht geöffnet. Immerhin arbeitete Mr Bosu nicht gratis.
    Deshalb würde er bei Bargeld bleiben, vielen Dank auch. Schöne, dicke Bündel schmutziggrüner Geldscheine, die er sich um den Leib binden und nach Herzenslust ausgeben konnte.
    Mr Bosu nahm den Aktenkoffer, und die Fahrerin setzte ihn wortlos an der Faneuil Hall ab. Zuvor überreichte sie Mr Bosu noch ein Mobiltelefon mit einprogrammierten Nummern, damit man in Kontakt bleiben könne.
    Mr Bosu nickte viel, um bei der Fahrerin den Eindruck von Dankbarkeit erwecken. Natürlich wusste Mr Bosu genau, wer die Fahrerin war. Die meisten Jungs im Knast kannten die Vermittlerin dem Namen nach, auch wenn Mr Bosus Ruf den von Robinson bei weitem in den Schatten stellte.
    Aber Mr Bosu schwieg. Denn wie er im Gefängnis gelernt hatte, war Wissen Macht.
    Mr Bosu steckte die Hände in die Taschen, schlenderte pfeifend die Kirchentreppe hinunter und spazierte ein letztes Mal an dem Büfett fröhlich herumtollender und lachender Köstlichkeiten vorbei.
    Alles zu seiner Zeit. Nun musste er sich erst einmal einen Welpen beschaffen.

19
     
    Und wie muss ich mir so etwas vorstellen?«
    Bobby saß in einem kleinen, voll gestellten Büro in Wellesley. Er zählte vier graue Aktenschränke aus Stahl, einen gewaltigen Schreibtisch aus Eichenholz und etwa ein halbes Dutzend billiger Bücherregale, die von juristischen Fachbüchern und bunt beschrifteten Pappordnern überquollen. An dem schätzungsweise sechzig Zentimeter breiten Streifen freier Wand, der zwischen den einsturzgefährdeten Aktenstößen und der wasserfleckigen Zimmerdecke übrig blieb, prangten zwei schief aufgehängte gerahmte Diplome von der University of Massachusetts in Amherst und des Boston College.
    Bobby versuchte, sich die Kanzlei der Anwälte vorzustellen, die James Gagnons Interessen vertraten. Vermutlich ein himmelweiter Unterschied. Erstens wäre er jede Wette eingegangen, dass die Diplome dieser Juristen aus Harvard oder Yale stammten, und zweitens verfügten besagte Kanzleien sicherlich über eine Empfangsdame, einen mit Kirschholz getäfelten Konferenzraum und eine unschlagbare Aussicht auf die Silhouette der Bostoner Innenstadt.
    Harvey Jones hingegen betrieb seine Kanzlei im Speicher einer ehemaligen Eisenwarenhandlung. Er arbeitete allein und war inzwischen seit sieben Jahren als Anwalt tätig. Außerdem hatte er weder einen Partner noch eine Sekretärin. Und heute trug er nicht einmal einen Anzug.
    Einer von Bobbys Kollegen hatte ihm den Mann empfohlen. Und als Harvey Bobbys Namen gehört hatte, war er sofort mit einem Treffen einverstanden gewesen. Auf der Stelle. An einem Sonntag. Bobby wusste nicht, ob das ein gutes oder ein

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