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Lauf, wenn du kannst

Lauf, wenn du kannst

Titel: Lauf, wenn du kannst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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Mädchen im Zeugenstand auf Mr Bosu gezeigt und »Ja, Sir, das ist der Mann, der mich entführt hat«, gesagt halte, waren seine Eltern sogar der Verhandlung fern geblieben.
    Gewiss hatte er seinen Eltern das Herz gebrochen. Leute wie sie hätten eigentlich einen Sohn haben müssen, der normal war. Der sich der Studentenorganisation der Army anschloss, auf Staatskosten einen Collegeabschluss machte und am Wochenende seinem Vaterland diente. Der dann ein ganz durchschnittliches Mädchen, vielleicht das Ebenbild seiner Mutter, heiratete, die in einer modernen Retroküche stand und Retroaufläufe zubereitete, während ihre zwei Komma zwei Kinder sich draußen im Garten die Zeit mit Retrospielzeugen vertrieben.
    Aber Mr Bosu hatte andere Tagträume. Sie drehten sich um katholische Schulmädchen, die einen grünen Schottenrock und weiße Kniestrümpfe trugen und eine rote Schleife im langen schwarzen Haar hatten. Die Schulbücher hielten sie vor die knospenden Brüste gedrückt, und sie antworteten stets mit »Ja, Sir« oder »Nein, Sir«. Ihre Körper waren straff und jungfräulich und noch nie von einem Mann berührt worden, und sie würden ihm zu Willen sein, wann und wo er es auch von ihnen verlangte.
    Für immer würden sie ihm gehören.
    Aber Mr Bosu war nicht dumm gewesen. Er hatte seine Phantasien für sich behalten und mit sechzehn seinen ersten Versuch unternommen. Er hatte ein kleines Mädchen auf einem Spielplatz angesprochen, und zwar unter dem Vorwand, er suche seine kleine Schwester. Da die Kleine nicht sofort die Flucht ergriffen hatte, hatte er sich erboten, sie auf der Schaukel anzuschubsen. Doch ihre zarten, mageren Rippen unter den Händen zu spüren war nicht folgenlos geblieben. Die Hose war ihm zu eng geworden, ohne dass er die Möglichkeit gehabt hätte, dies zu verbergen. Ein Blick hatte genügt, dass die Kleine zu schreien angefangen hatte und sofort nach Hause gelaufen war.
    Später hatten ihre Eltern seine Eltern auf Mr Bosus »merkwürdiges« Verhalten angesprochen. Er war errötet und ins Stottern geraten und hatte schamlos gelogen, er habe gerade eine blonde Cheerleaderin vorbeigehen sehen. Natürlich habe er nie vorgehabt ... Er wisse nur nicht, wie er das abstellen ... Ach, herrje, es täte ihm ja so, so leid.
    Jungs sind eben so, hatte sein Vater kopfschüttelnd gesagt und wieder nach seiner Zeitung gegriffen.
    Danach war Mr Bosu vorsichtiger geworden. Mit dem Auto seiner Eltern war er in andere Stadtviertel gefahren und hatte geübt und viel gelernt. In neuen Klamotten wirkte man weniger bedrohlich, vor allem wenn man ein Hüne war wie er. Eine gute Geschichte war ebenfalls unverzichtbar. Und bloß keine Süßigkeiten. Schließlich wurde jedes Kind vor Fremden gewarnt, die mit Bonbons lockten. Viel besser war es da, eine verloren gegangene Schwester, einen entlaufenen Hund oder eine verschwundene Katze zu suchen. Damit konnte jedes Kind etwas anfangen.
    Mr Bosu feilte an seiner Methode. Und eines Tages schlug er zu.
    Die Freude war kurz und endete in einem Blutbad. Ganz und gar nicht so, wie er es sich ausgemalt hatte. Anschließend geriet er in Panik und wusste nicht, wohin mit der Leiche. Zu guter Letzt beschwerte er sie mit Steinen und fuhr sie den weiten Weg bis zur Grenze nach Connecticut, wo es einen Fluss gab.
    Erschüttert und aufgewühlt – und interessanterweise voller Reue – kehrte er dann nach Hause zurück. Tagelang sah er sich mit feuchten Handflächen die Nachrichten an und wartete darauf, erwischt zu werden.
    Aber nichts geschah. Einfach ... nichts. Und bald regten sich die Phantasien erneut. Er träumte, er hungerte, er begehrte. Bis er eines Tages in eine Straße unweit seines Elternhauses eingebogen war. Und da hatte er das Mädchen gesehen. Sie trug zwar einen braunen Kordrock, kein grünes Schottenkaro, aber der Rest passte recht gut.
    Danach war alles ganz einfach gewesen. Er hatte eine völlig neue Methode angewendet, und zwar mit einem überaus zufriedenstellenden Ergebnis. Zumindest bis zu dem Moment, als das Mädchen in den Zeugenstand getreten war.
    Damals war er noch sehr jung gewesen. Inzwischen wusste er das. Und wegen seiner Jugend hatte er Fehler gemacht. Nun hatte er fünfundzwanzig Jahre Zeit gehabt, sein Wissen zu erweitern. Wer glaubte, dass man im Gefängnis nichts dazulernte, war ganz offensichtlich nie dort gewesen.
    Mr Bosu schlenderte die Park Street entlang bis zur riesigen gotischen Kathedrale, an die er sich noch aus seiner Jugend

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