Lauf, wenn du kannst
diese lauten, dass der Einsatz von Gewalt gerechtfertigt war, ja. Dann können wir vermutlich gewinnen.«
»Das sind aber viele ›Wenns‹.«
»Stimmt.«
»Und danach?«
Harvey zögerte.
»Er kann doch in Berufung gehen, oder?«, schilderte Bobby dem Anwalt seine Befürchtungen. »Nach dem Amtsgericht kann James Gagnon sich ans Bezirksgericht und anschließend an den Obersten Gerichtshof und zu guter Letzt an das Oberste Bundesgericht wenden. Es wird immer weiter und weiter gehen.«
»Richtig«, erwiderte Harvey. »Außerdem wird er Sie mit Klagen überhäufen, von denen die meisten nur an den Haaren herbeigezogen sind. Doch sie abzuwehren wird Sie wiederum Zeit und Geld kosten. Ich tue, was ich kann. Einige Leute sind mir noch etwas schuldig. Außerdem kenne ich einige junge Anwälte, die Ihnen helfen werden, um Berufserfahrung zu sammeln oder ihren eigenen Bekanntheitsgrad zu erhöhen. Aber in einem haben Sie Hecht. Das hier ist David gegen Goliath. Und, tja, Sie sind nicht Goliath.«
»All das kostet Zeit und Geld«, murmelte Bobby.
»Er ist alt«, meinte Harvey.
»Das heißt, dass sich das Problem eines Tages biologisch löst«, gab Bobby erbittert zurück. »Also kann ich im besten Fall nur darauf hoffen, dass noch jemand stirbt.«
Harvey sparte sich die Mühe einer Lüge. »Ja, in solchen Situationen ist das mehr oder weniger der einzige Ausweg.«
Bobby stand auf und zog sein Scheckbuch heraus. Er hatte ein wenig Geld auf der hohen Kante, mit dem er sich eigentlich irgendwann noch ein Häuschen hatte kaufen wollen. Falls die Dinge zwischen Susan und ihm sich anders entwickelt hätten, wäre auch noch eine Hochzeitsfeier dabei herausgesprungen. Nun schrieb er einen Scheck über fünftausend Dollar aus und legte ihn auf Harvey Jones’ Schreibtisch.
Nach Auffassung des braven Anwalts würde das etwa eine Woche reichen. Natürlich wusste Bobby etwas, von dem sein Anwalt nichts ahnte – wenn sein Vater in den Zeugenstand trat, würde er verlieren.
»Ist das genug als Anzahlung?«
Harvey nickte.
»Wenn ich die Sache durchziehe, rufe ich Sie morgen vor siebzehn Uhr an«, sagte Bobby.
Die beiden Männer schüttelten einander die Hand.
Dann fuhr Bobby nach Hause, um seine Waffen zu holen.
Auf dem fünfzehn Meter langen Schießstand des Schützenverbandes des Staates Massachusetts in Woburn war für einen Sonntagnachmittag nicht viel los. Bobby rollte zwei orangefarbene Ohrstöpsel aus Schaumstoff zwischen den Fingern, stopfte sie sich in die Ohren und setzte dann die Schießbrille auf. Er hatte seine Smith & Wesson .38 Special und nur so zum Spaß eine .45 Colt Magnum mitgebracht.
Wenn Bobby zur monatlichen Schießprüfung antrat, feuerte er nie mehr als einen Schuss ab. Das genügte. Man brauchte fast eine Stunde, um alles vorzubereiten, und dann schoss man ein einziges Mal. Den Kaltschuss. Er hieß deshalb so, weil beim allerersten Schuss aus einer beliebigen Waffe die Kugel durch einen kalten Lauf glitt. Das Geschoss erhitzte den Lauf, was bei jedem weiteren Schuss zu leicht veränderten ballistischen Daten führte.
Bei einem Scharfschützen ging man davon aus, dass er die anderen Geschosse ohnehin nicht brauchen würde. Ein Schuss, ein Toter, und deshalb spielte Tag für Tag, Übungseinheit für Übungseinheit, nur dieser einzige Kaltschuss eine Rolle.
Nun stellte Bobby sechs Schachteln Munition neben sich auf. Die Messinghülsen klapperten in den Behältern. Er öffnete die erste Schachtel und lud die Waffe.
Er begann mit der .38er, und zwar aus drei Metern Entfernung, nur so zum Warmwerden. Danach schob er die Zielscheibe auf sieben Meter zurück. Studien zufolge feuerten Polizisten ihre Schüsse aus durchschnittlich, sieben Metern Entfernung ab, was diesen Abstand bei Schützen sehr beliebt machte. Bobby fragte sich oft, wer diese Studien nur durchführte und warum sie sich nie die Mühe machten, zu erwähnen, ob die Polizisten bei diesen ominösen Schießereien gewannen oder unterlagen.
Am Anfang lief es miserabel. So schlecht hatte Bobby sein Lebtag nicht geschossen, und für einen Menschen, der vom Nationalen Schießverband den Titel eines Meisterschützen erhalten hatte, war so etwas richtiggehend peinlich. Er fragte sich, ob schon irgendwo in der Kulisse ein Privatdetektiv wartete, um die Zielscheibe als Beweisstück in Bobbys anstehendem Prozess sicherzustellen. Der Bursche würde die chaotisch zerlöcherte Scheibe im Zeugenstand hochhalten und ausrufen: »Schauen Sie sich das
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