Lauf, wenn es dunkel wird
der Innenseite seiner Schenkel, dort wo sie das Hauttransplantat entnommen hatten. Fremde starrten auf die straffe Haut an seiner Kehle, weil sie so glänzte. Jede Berührung, jedes Starren weckte die Erinnerungen wieder: die Lichter, die Schreie, die geflüsterten Worte, die Gerüche.
Wenn er das Haus verließ, knöpfte er seine Hemden bis oben zu, aber die Leute bemerkten die Narben trotzdem. Sein Hemdkragen verdeckte nicht alles, und wenn sie es erst einmal gesehen hatten, konnten die meisten Leute mit dem Starren nicht mehr aufhören, egal ob er in der Schlange vorm Kino stand oder im Lebensmittelladen. Manche schauten ihn an und dann schnell wieder weg. Manche taten so, als würden sie nicht schauen - und glotzten schließlich doch, wenn sie dachten, dass er es nicht merkte. Und ein paar legten großen Wert darauf, ihm in die Augen zu sehen und dann zu lächeln, als wäre er irgendwie zurückgeblieben oder ein Hund, der bissig werden könnte.
Dieses Lächeln hasste er am meisten.
Seine Mutter hatte ihn an jedem einzelnen Tag, den Griffin im Krankenhaus lag, besucht. Aber dann, eines Tages kurz bevor er entlassen werden sollte, kam sie nicht mehr.
»Ich habe mich die ganze Zeit schon was gefragt - wo ist eigentlich deine Mom?«
»Wie meinst du das?«
»Na ja, du lebst hier mit deinem Dad, aber du musst ja irgendwann auch mal eine Mutter gehabt haben, also wo ist sie?«
»Sie und mein Dad haben sich nicht verstanden«, sagte Griffin kurz angebunden. »Also ist sie zurück nach Chicago. Da kommt sie her.« Sie hatte ihm oft Geschichten über Chicago erzählt, über den See im Sommer und den Wind im Winter. Roy mochte die Geschichten nicht, also hatte seine Mutter sie nur erzählt, wenn sein Vater nicht da war.
Als Roy dann Griffin schließlich im Krankenhaus besuchte, sagte er ihm, dass seine Mutter sie verlassen hatte. Sie hatte mit Roy über die Drogen gestritten, hatte gesagt, dass sie die Nase voll hatte, und dann war sie gegangen. Roy erzählte die Neuigkeiten völlig ausdruckslos.
Erst als Griffin nach Hause gekommen war, war ihm klar geworden, dass sein Vater sehr wohl verschiedene Gefühlsstadien durchlaufen hatte. Zuerst Wut (es gab eine Menge zerbrochener Möbel und Geschirr) und dann Verzweiflung (er hatte rein gar nichts aufgeräumt).
Griffin hatte die Scherben weggeschmissen, in Ordnung gebracht, was übrig geblieben war, und weitergemacht, ohne darüber zu reden. So wie er es mit seinen Verbrennungen getan hatte. So wie er es mit dem Umstand gemacht hatte, dass seine Mutter nie schrieb oder anrief. Inder Schule hatte er ihren Namen ein paarmal gegoogelt, aber die wenigen Jamie Sawyers, die er fand, hatten nie das richtige Alter.
Chayenne war lange Zeit still. »Glaubst du, dass mich dein Dad wirklich gehen lassen wird?«, fragte sie schließlich leise.
»Er sagt Ja.«
»Das habe ich nicht gefragt.«
Die Wahrheit war, dass Griffin nicht wusste, wie sehr er
Roys Worten trauen konnte. Nicht wenn es um so viel Geld ging. Falls sein Vater Cheyenne tatsächlich gehen lassen würde, er diesen letzten Schritt aber TJ und Jimbo überließ, war es gut möglich, dass die beiden sie stattdessen einfach in den Wald schleppten und töteten. Vergewaltigten und töteten.
Der Einzige, der Cheyenne gehen lassen würde, war er, Griffin. Er musste es einfach tun, auch wenn er damit alles aufs Spiel setzte. Auch wenn es bedeutete, dass er mit Roy, TJ und Jimbo im Gefängnis landen würde. Die Alternative war, dass Cheyenne umgebracht wurde.
Er konnte ihr nicht sagen, was er vorhatte, falls sie sich bei den anderen verplapperte, aber wenn alle mit der Geldübergabe beschäftigt waren, würde er Cheyenne nehmen und gehen. Dann, wenn ganz sicher keiner von ihnen wieder am Haus aufkreuzen könnte und sie aufhalten würde. Er würde Cheyenne in den Laster setzen und so schnell fahren, als wäre der Teufel hinter ihm her, so lange, bis er irgendwo ankam, wo es ein Telefon gab, irgendwo, wo es schönes helles Licht gab und viele Leute. Wo TJ und Jimbo es sich zweimal überlegen würden, ob sie sie umbrächten, falls sie sie einholten. Und dann würde er Cheyenne freilassen und zurückgehen und seinen Vater treffen, und dann würden sie nach Mexiko oder sonst wohin gehen. Und er würde hoffen, dass Cheyenne ihr Versprechen hielt und der Polizei ihre Namen nicht verriet. Und hoffen, dass die Polizei nicht auftauchte, bevor sie verdammt noch mal verschwunden waren. Wenn sie doch auftauchten, könnte es nämlich
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