Lauf, wenn es dunkel wird
mussten, hätten sie das inzwischen längst getan. Es war an der Zeit zu handeln.
Cheyenne schob ihre Hand in die Tasche und zog das
Stück Glas heraus. Langsam, ganz langsam kroch sie vom Bett. Griffin schnaubte einmal und drehte sich um, aber dann atmete er wieder gleichmäßig. Cheyenne schob ihren Fuß so weit nach vorne, bis die Schnur um ihren Knöchel zum Zerreißen gespannt war. Sie bückte sich und sägte die Schnur mit ein paar Zügen durch. Ihre Lunge schmerzte, aber Cheyenne erlaubte sich nur winzig kleine Atemzüge, sie hatte zu viel Angst vorm Luftholen, zu viel Angst vorm Husten. Das kleinste Geräusch konnte sie verraten.
Nachdem sie die Schnur durchtrennt hatte, fühlte es sich an, als würde sie einen Schritt ins Leere machen. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Falls Griffin aufwachte, würde er bestimmt versuchen, sie aufzuhalten.
Sie umfasste das Stück Glas noch fester, hielt die Luft an und lauschte. Aber Griffin schlief immer noch tief und fest und atmete hörbar alle paar Sekunden aus.
Cheyenne schlich durch das Zimmer, jeden Schritt prüfend. Als sie die Hand nach dem Türknauf ausstreckte, entdeckte sie, dass die Tür nicht ganz geschlossen war. Es war nur eine Kleinigkeit, aber trotzdem war es ein gutes Zeichen.
Sie folgte mit den Fingern der Wand im Flur, bis sie ins Esszimmer gelangte. Dort strich sie mit ihren Händen über den Tisch und über das, was sich wie der Geschirrschrank anfühlte. Aber außer schmutzigem Geschirr fand sie nichts.
Im Wohnzimmer auf einem rauen Holztisch stieß Cheyenne auf das, wonach sie gesucht hatte. Ihre Finger spürten der Form nach und ihr Geist lieferte das passende Bild. Ein großer metallener Schraubenschlüssel. Schwer. Sie legte das Stück Glas in die Manteltasche zurück, nahm den Schraubenschlüssel und schlug mit dem Ende kurz gegen ihren Handballen. Wenn sie Griffin hart genug damit traf, könnte sie ihn bewusstlos schlagen.
Wenn sie Griffin hart genug traf.
Und wenn nicht? Dann würde er wahrscheinlich aufwachen. Würde sie wahrscheinlich jagen. Würde sie wahrscheinlich töten.
Cheyenne spürte, dass ihr Herz raste und ihr Atem schneller ging. Das waren alles Kampf- oder Fluchtreaktionen, wie sie sie im Biologieunterricht gelernt hatten. Sie drehte sich um und ging den Gang zurück.
Vor der Tür hielt sie an und lauschte. Was, wenn Griffin wach war und sie beobachtete? Was, wenn sie reinstürmte und er ihr den Schraubenschlüssel aus der Hand riss und sie damit niederschlug?
Aber da war nichts außer seinen tiefen, gleichmäßigen Atemzügen.
Cheyenne holte ein letztes Mal raspelnd Luft und schlich dann zu ihm. Sie hatte den Schraubenschlüssel fest mit beiden Händen gepackt und hielt ihn hoch über ihren Kopf. Dann, wie ein Mann, der mit einer Axt Holz spaltet, ließ sie den Schraubenschlüssel in einer schnellen und grausigen Abwärtsbewegung hinuntersausen.
Bevor sie zurückkommen
Cheyenne liefen noch immer Tränen übers Gesicht, als sie die Schlafzimmertür hinter sich schloss.
Oh Gott.
Oh Gott.
Sie war sich ziemlich sicher, dass sie gerade einen Mann umgebracht hatte. Oder vielmehr einen Jugendlichen. Jemanden, der in ihrem Alter war. Und die einzige Person in diesem Haus, die ihr mit Freundlichkeit begegnet war.
Sie hatte Griffin nur bewusstlos schlagen wollen, aber als sie ihn das erste Mal getroffen hatte, war er schreiend hochgefahren.
Das Herz in ihrer Brust hatte wie ein Fisch gezappelt. Ohne nachzudenken, hatte sie noch einmal zugeschlagen. Viel fester. Griffin war aufs Bett zurückgefallen. Und danach hatte er sich nicht mehr gerührt. Überhaupt nicht mehr. Sie hatte den Schraubenschlüssel auf den Boden fallen lassen - er war jetzt feucht vom Blut.
Sie zwang ihre Füße, sich zu bewegen, stolperte den Flur entlang. Wenn sie sich nicht beeilte, würden die Männer zurückkommen und sie finden. Und sie wusste, sie würden sie töten. Besonders jetzt. Nach dem, was sie getan hatte.
Oh Gott.
Wie viel Zeit blieb ihr noch? Wie viel Zeit, bis sie zurückkamen? Cheyenne versuchte sich zu beruhigen. Sie musste klar denken. Die Übergabe sollte um drei Uhr morgens stattfinden. Und sie wollten sichergehen, dass das Geld nicht verwanzt oder sonst wie überwacht wurde, bevor sie es mitnahmen. Dann würden sie hierher zurückfahren und es auftei len. Jetzt war es 2:12 Uhr.
Cheyenne schätzte, dass ihr nicht viel Zeit blieb - eine, vielleicht zwei Stunden, mehr nicht. Sie war lange genug in der Gesellschaft dieser Männer
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