Laufend loslassen
guten Wegen, es ist heiß, aber häufiges Trinken hilft. Dennoch bin ich ziemlich geschafft, als ich das Städtchen Condom erreiche. Ich entscheide mich für den Campingplatz, überquere den Fluss, gehe am Flusshafen vorbei und erreiche schließlich am Stadtrand die Anlage. Erst beim Absetzen des Rucksacks merke ich, wie verspannt meine Schulter ist. Es bleiben Aufbau, Duschen, Essen und dann bin ich um zehn Uhr bettreif.
Sonntag, 8. Juli
Der Tag fängt schwierig an. Ich erwache erst um neun Uhr und fühle mich dennoch wie erschlagen, habe nichts mehr für das Frühstück. Dazu regnet es ein paar Tropfen und der Himmel ist grau in grau. Dennoch versuche ich gelassen zu bleiben. Der Zeltabbau geht langsam, dann gehe ich erst einmal im Ort Brot und Croissants kaufen und gönne mir einen Kaffee im Zentrum. Allerdings ist auch hier die Freude nicht ungetrübt, denn eine laute französische Familie mit einem amerikanischen Gastschüler nimmt neben mir Platz und vor dem Café auf der Straße ist die Hölle los.
Ganz Frankreich scheint mit dem Auto unterwegs zu sein und dabei mitten durch Condom. Trotzdem gelingt es mir, eine gewisse Heiterkeit zu entwickeln. Ab und zu bricht das normale Leben eben in das des Pilgers ein. Tröstlich ist, dass die Quartierlage heute sowieso nur eine Etappe von 17 Kilometern bis Montreal du Gers nahelegt. Ich werde sehen, wie der Tag sich weiterentwickelt. Es ist der vierzigste seit meinem Aufbruch in Taizé.
Kaum bin ich aus Condom draußen, zieht ein Gewitter auf, von dem ich erfreulicherweise nur ein paar Tropfen abkriege. Der Jakobsweg führt dann im wahrsten Sinn des Wortes über Feld-, Wald- und Wiesenwege, wobei sich Wald eigentlich nur auf kurze Abschnitte entlang kleiner Flüsschen beschränkt. Es ist angenehm zu laufen. Später überquere ich eine Brücke, die schon im Mittelalter den Pilgern gedient hat. Mir wird wieder bewusst, dass ich als Pilger in einer tausend Jahre alten Tradition gehe.
Je länger ich unterwegs bin, desto mehr beginnt der Tag seine freudige Seite zu entwickeln. Später unterbreche ich meine Wanderung an der kleinen Kirche von Routgès, die nach meinem Wanderführer die älteste Kirche im Kreis Gers sein soll, ein schöner, stiller Platz.
Gerne lese ich auch in dem Pilgerbuch, das in der Kirche ausliegt, finde Einträge der Pilger, die heute vor mir da waren. Ob ich sie einmal zu sehen bekomme?
Am Abend erreiche ich Montreal du Gers und quartiere mich im Hotel St. Jacques ein, das auch Pilgerherberge ist. Meinen Zimmergenossen bekomme ich zunächst noch nicht zu sehen, weil ich nach kurzer Verschnaufpause doch noch einmal in das Städtchen hinaufwill.
Gerade fängt in der Kirche am Hauptplatz ein Konzert an, dem zuzuhören ich mich kurz entschlossen entscheide, obwohl ich mir in meiner Pilgerkluft erst ein wenig deplatziert neben den anderen Konzertinteressenten vorkomme. Es erweist sich als richtig, die Hemmung zu überwinden.
Eine Familie Vescovo stellt sich vor, und vor allem die erst 15 Jahre junge Violinistin begeistert mich mit ihrem Spiel. Zudem lässt das Konzert für Violine und Klavier von Max Bruch Bekanntes aus der Kindheit wieder auftauchen. Das habe ich meinen Vater auch spielen hören. Gebannt höre ich zu und lasse es tief eindringen. In einer kleinen Bar unter den Arkaden des zentralen Platzes klingt für mich der Abend aus.
So ist aus diesem Tag, der so schwierig begonnen hat, doch noch etwas Schönes geworden.
Montag, 9. Juli
Gut geschlafen, trotz der Hängemattenmatratze. Das Frühstück ist gut, fünf Pilger und Pilgerinnen sind da, auch mein Zimmergenosse, der nach Santiago will, wenn es seine Gesundheit erlaubt. Schon vor neun breche ich auf, es ist trocken und kühl, ideal zum Wandern. Der Weg führt zunächst durch eine abwechslungsreiche Landschaft, ähnlich der von gestern. Immer wieder Felder, auch Wein, zwischen Bäumen und Büschen. Ich schreite mächtig aus und erreiche nach etwas mehr als zwei Stunden das kleine Kirchlein von Lamothe. Leider ist es geschlossen, aber die Eingangstür gefällt mir trotzdem so, dass ich sie fotografiere. Eine Picknickbank unter einer alten Eiche neben der Kirche lädt mich zu einer kleinen Rast ein, und da die Energie des Frühstücks gerade verbraucht ist, nehme ich die Einladung gerne an. In ein paar Kilometern Entfernung zieht sichtbar ein Regenschauer vorbei, aber hier bleibt es trocken.
Kurz hinter dem Kirchlein führt der Weg auf einer alten Bahntrasse weiter.
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