Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Laufend loslassen

Laufend loslassen

Titel: Laufend loslassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Mall
Vom Netzwerk:
Auf beiden Seiten Baum- und Buschbestand. So geht es fast schnurgerade und nahezu eben kilometerweit vorwärts.
    Das ist wirklich Meditation im Gehen. Der Weg braucht keine große Beachtung, keine Landschaft rechts und links lenkt ab, die Gedanken sind frei, kommen und gehen wie Wolken am Himmel. Ich staune, wie gut es mir geht, wie optimistisch ich mich fühle und wie mir auch immer wieder Ideen kommen, die mit dem Jakobsweg zu tun haben und Initiativen für zu Hause versprechen. Wenn ich überlege, wie kraft- und initiativlos ich sonst oft gewesen bin, merke ich die Wandlung. Überhaupt spüre ich immer stärker eine innere Freude, die auch offen macht für die vielen kleinen schönen Dinge am Weg.
     
    Nach weiteren eineinhalb Stunden erreiche ich Eauze. Die zentrale Kirche Eglise Saint Liperc ist leider geschlossen. Gegenüber im Café Commercial lasse ich mich als einziger Gast nieder, das andere Café am Platz ist gut gefüllt. Der Wirt begrüßt mich als Pilger, bringt mir gleich ein Pilgerbuch, in dem man eintragen soll, warum man den Weg geht. Offen und ehrlich trage ich ein: „Um wieder neuen Lebensmut zu bekommen, und ich merke, dass der Weg mir den auch gibt. Danke!.“ Es ist das erste Mal, dass ich dieses Pilgermotiv unverschlüsselt in ein Pilgerbuch eintrage. Ein Tor meiner inneren Burg habe ich geöffnet.
     
    Dann blättere ich ein wenig in dem Buch. Ich finde alte Bekannte. Meine beiden Gerhards aus dem Aubrac haben sich auch eingetragen, der eine vor zwei, der andere vor sechs Tagen. Ein Paar aus Quebec, mit dem ich in Conques am Tisch saß, war vor drei Tagen da. Es freut mich, die Spuren aller hier wiederzufinden. Es gibt auch Einträge von Leuten, die ich noch nicht kenne, von denen ich aber immer wieder in Kirchenbüchern gelesen habe und die meist nur ein bis zwei Tage vor mir herziehen. Es ist seltsam mit uns Pilgern.
    Wir legen Spuren und lernen uns dabei etwas kennen, ohne uns vielleicht je zu sehen.
    Nachdem ich eine ordentliche Rast von eindreiviertel Stunden gemacht und dabei einen Brief geschrieben habe, geht es wieder munter weiter. Zwar ist die schöne Bahnstrecke zu Ende, aber der Weg ist leicht und gut zu laufen. Viele Weingärten gibt es hier, Côtes de Gascogne. Ich bekomme Lust, den Wein einmal zu probieren. Um fünf Uhr bin ich da, wo ich eigentlich hätte aufhören wollen, aber noch bin ich munter. Eine Stunde später erreiche ich Manciet, suche dort einen Laden, den es zwar gibt, der aber erst am Dienstag wieder aufmacht. Ein kleiner Halt an der Kirche, wo es für Jakobspilger eine Gebetsnische und ein Pilgerbuch gibt. „Ein guter Tag. Mein 41. Tag.“, trage ich ein und finde wieder die Notizen alter, unbekannter Bekannter.
    Für das Abendquartier lasse ich den Zufall entscheiden. Findet sich vor dem Relais du Haget, einem „Gite equestre.“, also einer Unterkunft für reitende Pilger und für Leute, die Ferien auf einem Reiterhof machen wollen, noch ein Platz zum wilden Zelten, nehme ich den, sonst den Gite. Der kommt schneller als erwartet. Ich werde herzlich empfangen. Pilger sind heute zwar keine da, dafür aber ein paar Studenten, die hier Reiterferien verbringen, andere, die sich auf Prüfungen vorbereiten und mit dem Laptop im Bett liegen.
    Die Atmosphäre ist offen und herzlich. Ich bin froh, dass das Schicksal so für mich entschieden hat.
    Der Hof hat eine besondere Attraktion: Tao, der Hund, der mit Begeisterung Fußballtorwart spielt. Man schießt einen kleinen Ball los und er fängt ihn zuverlässig mit dem Maul auf. Dann legt er ihn dem Schützen vor die Füße und das Spiel beginnt von Neuem. Wenn Tao eine Pause will, hält er den Ball zwischen den Vorderfüßen fest, sonst aber ist er unermüdlich.
     

Dienstag, 10. Juli
    Heute ist Ediths Geburtstag. Und ausgerechnet in dieser Nacht hatte ich einen Traum mit folgenden Bildern: Edith erklärt mir, dass sie sich von mir scheiden lassen will. Gleichzeitig bringt sie den Artikel einer Zeitung über ein neues Urteil des Bundesgerichtshofes, nach dem bei einer Scheidungsklage derjenige, dessen inneres Problem der Auslöser der Zerrüttung ist, der Scheidung widersprechen kann, wenn er sich um die Lösung des Problems bemüht hat. Edith fragt mich, ob ich von dieser Möglichkeit Gebrauch machen werde. Ich, nachdem ich den Artikel gelesen habe, bejahe und bitte Edith, die Scheidungsklage zurückzunehmen.
    Hier erwache ich, ziemlich verstört, was auch nach dem Aufwachen morgens noch lange da ist. Egal ob es sich

Weitere Kostenlose Bücher