Laufend loslassen
bei diesem Traum um die intuitive Wahrnehmung einer aktuellen Entscheidung von Edith handelt oder um Bilder einer inneren Wirklichkeit, klar ist, dass es sich um die Frage dreht, wie es in Zukunft für mich mit meiner gescheiterten Ehe und mit Beziehungen weitergeht. Realität ist, dass ich mich weiterhin mit Edith verheiratet fühle, trotz einer Trennung von fast sieben Jahren, die ich letztlich immer noch nicht akzeptiert habe, für eine neue Beziehung nicht offen bin und dass das bei ihr anders aussieht. Das heißt, mein Unterbewusstsein meldet mir, es sei wieder an der Zeit, sich mit dieser Problematik auseinanderzusetzen.
Vierzig Tage lang habe ich mich nicht bewusst mit dieser Thematik beschäftigt, obwohl ich in Taizé wusste, dass es gerade dieser schwere Stein in meinem Leben ist, den loszulassen ich lernen wollte. Doch ich habe Angst vor dem Loslassen und leide doch auch am aussichtslosen Festhalten. In vielfältiger Weise hat mir der Pilgerweg bisher Situationen bereitet, die mit dem Loslassen zu tun hatten, auf der materiellen und der psychischen Ebene.
Einträge in Pilgerbücher und Gespräche mit Mitpilgern haben mich daran erinnert. Vielleicht waren sie eine notwendige Vorbereitung. Vierzig Tage lang zog Elia zum Berg Horeb, bis er das Wort Gottes vernahm, fällt mir ein. Vierzig Tage verbrachte Jesus in der Wüste, bevor er seine Verkündigung begann. Vierzig Tage lang dauert die Fastenzeit vor Ostern. Jetzt, das wird mir glasklar, geht es um das Eigentliche. Jetzt bin ich dran. Ich merke, wie mein Herz in die Magengrube fällt, wie das mein Pilgerleben beeinflusst. Die Unbeschwertheit des Vortages ist weg. Ich lasse das Problem wirken, ohne gleich eine Antwort zu wollen.
Um halb neun komme ich los, bleibe kurz in dem kleinen uralten Pilgerkirchlein des Johanniterordens stehen und halte inne. „Dans nos obscurités, allume le feu qui ne s’etaint jamais.“, den Text eines Taizé-Liedes, schreibe ich ins Pilgerbuch. Ja, das ist es, was ich brauche: „Entzünde in meiner Dunkelheit ein Licht, das niemals mehr erlischt.“, erbitte ich mir. Mit meinem Nachdenken, mit meiner Vernunft und meinem Willen allein schaffe ich es nicht. Das weiß ich aus allen vergeblichen Versuchen der vergangenen Jahre.
Dann geht es zügig weiter. Um zehn Uhr ist Nogaro erreicht. Ich halte an, um einzukaufen, einen Brief an Martina zu schreiben und anschließend Mittagsrast zu machen. Um halb eins geht es weiter, auf der alten Pilgerstrecke abseits des GR 65. Der Weg wird landschaftlich schön, geht nach Lanne-Soubiran in einen Wald, wo ich um drei Uhr auf eine kleine Schutzhütte für Pilger stoße. Eine Stunde mache ich halt, plane weitere Wanderabschnitte und erwäge das Tagesziel, mache Notizen und kräftige mich mit Honigbrot. Dann geht es weiter. Die Hütte wäre ein schöner Platz für eine Übernachtung, wenn es nicht so viele Schnaken gäbe. Heute, das ist mir nach der Rast klar, werde ich keine Mammutetappe machen, sondern es bei reichlich 20 Kilometern bewenden lassen.
In etwas über einer Stunde Abstand gibt es einen Campingplatz und den Gite auf dem Hof Barry, den mir Stephanie, die Chefin von gestern, empfohlen hat, 22 Kilometer vom Relais du Haget entfernt. Da mir heute nicht nach Leuten ist - noch immer wirkt mein Hauptthema in mir nach - , entschließe ich mich für den Campingplatz.
Doch dann wieder eines der kleinen Wunder des Jakobsweges: Kaum bin ich am Abzweig zum Hof Barry vorbei, tröpfelt es ein bisschen. Nachdem der Himmel wirklich ziemlich dunkel aussieht, drehe ich spontan um und laufe zum Hof. Sofort hört es auf zu tröpfeln. Der junge, sehr freundliche Patron nimmt mich herzlich in Empfang, fährt mich zum Haus seiner Eltern, wo der Gite ist, kümmert sich um die Frühstückssachen, zeigt mir alles, malt den Stempel. Der Gite, in den ich um halb sechs einziehe, ist eine gemütliche, etwas altbacken eingerichtete Ferienwohnung mit einer großen Wohnküche und einem Schlafzimmer mit vier Betten, und das für nur eine Person, nämlich für mich alleine. Kaum bin ich drin, fängt es draußen zu gießen an und hört die ganze Nacht nicht mehr auf, während ich mich so richtig breitmachen kann, gemütlich Tee trinke und den Bauernschinken esse, den ich mittags in Nogaro gekauft habe. Weitere Vorräte stehen hier zur Verfügung, es ist also alles da, um mich wohlzufühlen. Einen Kaminofen gibt es auch, den ich aber natürlich nicht brauche.
Nicht auszudenken, was los wäre, wenn ich bei
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