Laugenweckle zum Frühstück
Verkäuferin in einer blau-weißen Schürze mit einem blau-weißen Häubchen stopfte Hähnchen und Pommes in alubeschichtete Tüten und wir transportierten alles nach Hause. Wir saßen dann zu dritt am Esstisch, natürlich ohne meine Mutter, die niemals so etwas Fettiges gegessen hätte, mein Vater, Katharina und ich, meist schweigend, und mampften Hähnchen, Pommes mit gewaltigen Ketchupmengen und Brötchen direkt aus der Tüte in uns hinein. Da Katharina und ich uns unter der Woche selber um das Essen kümmern mussten, wenn Dorle nicht mal wieder Mitleid mit uns hatte, schien es uns wahre Zauberei, so ein herrliches Essen zu bekommen, ohne dafür auch nur einen Finger krumm zu machen. Die Unterhaltung mit meinem Vater verlief immer gleich.
»Schmeckt’s?«
»Ja.«
»Schule?«
»Schokee.« 7
»Sonst?«
»Ja, ja.«
Es war die reine Glückseligkeit.
Ein plötzlicher Niesanfall riss mich aus meiner Tagträumerei. Ich öffnete die Augen und blickte in ein Kameraobjektiv. Ein riiiesiges Kameraobjektiv. Hinter dem Kameraobjektiv tauchte ein Gesicht auf. Der dazugehörige Mensch ließ die Kamera sinken und reichte mir mit der Hand seines dazugehörigen Arms eine Serviette. Ich wischte mir damit die fettigen Hände ab und nahm dann eine zweite Serviette, um mir die Nase zu putzen. Der Mensch mit der Kamera war ein Mann, er lächelte und er sah
guuut
aus. Typ Auslandskorrespondent, live von der Front im Irakkrieg, rettet-die-letzten-Völker-Amazoniens. Sein langes schwarzes Haar war mit einem Lederbändchen zu einem nachlässigen Zopf zusammengebunden, eine Haarsträhne hing ihm ins Gesicht, und der Fünf-Tage-Bart signalisierte, dass er bei Pygmäen und Nomaden keinen Spiegel zum Rasieren aufgetrieben hatte. Kajalstriche betonten seine braunen Augen. Ich mag eigentlich keine eitlen Männer, aber Kajalstriche mag ich. Er war groß und sehr schlank, aber nicht zu dünn, und ich hatte den Verdacht, dass sich unter seiner Safarijacke (Safarijacke? In Stuttgart? Hmm. Vielleicht machte er eine Reportage im Amazonienhaus der Wilhelma?) schnuckelige Muckis verbargen.
»Hello«, sagte er. Seine Stimme war tief und sexy. Da ich nicht durch mein Aussehen bestechen konnte, musste ich ganz schnell eine schlagfertige Antwort finden.
»Äh, hallo«, antwortete ich. Super.
»Ich haben Sie foutougrafiert«, sagte er.
»Das habe ich mir gedacht«, antwortete ich und fand mich ungefähr so originell wie die Teppichgalerie, die seit drei Jahren ihre unmittelbar bevorstehende Schließung ankündigte. Was sollte ich jetzt sagen? Machen Sie eine Reality-Reportage »Arbeitslos am Abgrund – so sieht man nach dem Termin beim Arbeitsamt aus«? Dass er mich für das Titelbild von
Vanity Fair
casten wollte, konnte ich mir nicht so recht vorstellen.
»Ich hoff, Sie haben nischts dagegen«, sagte er. Seine Stimme hatte einen leichten Akzent, den ich nicht so recht einordnen konnte. »Ich bin Eric. Eric Hollister.« Er streckte mir die Hand entgegen. Sein Pech, wenn er meine fettige Hühnerhand drücken musste. Ich hatte ihn nicht gebeten, mich zu fotografieren. Andererseits sah er wirklich umwerfend aus. Normalerweise nahmen Männer nicht von sich aus Kontakt zu mir auf, gut aussehende schon gar nicht. Nach Leon war das jetzt der zweite Mann in wenigen Tagen. Hatte sich meine Aura durch die Arbeitslosigkeit verändert? Ich musste unbedingt mit Lila darüber reden. Lila kannte sich mit Auren aus.
»Äh, nein, ich habe nichts dagegen, aber es würde mich schon interessieren, warum Sie mich fotografiert haben.«
»Foutougrafieren ist meine Beruf«, sagte er. »Ich foutougrafieren vor allem Menschen. Porträts. Ich bin, wenn Sie sou wollen, Foutoukünstlr.« Kein Kriegsfotograf, ein Künstler! Unglaublich! Und er war der Meinung, dass ich, Line Praetorius mit der Spatzenbrust, ein Motiv war! Er war mir auch gleich so sensibel vorgekommen! Und irgendwie intellektuell!
»Trotzdem verstehe ich nicht, warum Sie ausgerechnet mich fotografiert haben.«
Er lachte. Es war kein Grinsen wie bei Leon, es war ein tiefes, lautes Lachen. »Ich kommen oft hierher. Ich suche nach normale Menschen, nicht nach Promis. Ich habe hier bei die Arbeitsamt schon sehr interessante Motive gefunden.« Okay, ich war also ein interessantes Motiv. War das jetzt gut oder schlecht? Wahrscheinlich war ein einarmiger Bettler auf der Königstraße auch ein interessantes Motiv, während Angelina Jolie sexy war. »Sie können sisch nicht vorstellen, wie Sie gerade ausgesehen
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