Laugenweckle zum Frühstück
Türen. Vermutlich hatte man mir eine Zimmernummer genannt, aber die hatte ich vergessen. Endlich fand ich die Tür von Frau Mösenfechtel und klopfte. »Herein!«
»Guten Tag, Frau Mösenfechtel, ich bin Pipeline Praetorius. Ich habe einen Termin bei Ihnen.« Frau Mösenfechtel war um die fünfzig und saß hinter einem Schreibtisch, auf dem sich Leitzordner und Akten stapelten. Vor dem Tisch standen zwei hellbraun-dunkelbraun gestreifte Stühle im Retro-Look. Sie machte eine auffordernde Handbewegung in Richtung der Stühle und sagte: »Frau Mösenfechtel hat Urlaub. Ich bin die Vertretung, Frau Ohneschuh. Und ich warte schon seit fünf Minuten auf Sie. Geben Sie mir bitte den Bogen, den Sie ausgefüllt haben, Ihre Bewerbungsunterlagen und das letzte Arbeitszeugnis.«
Ich reichte ihr den Bogen. »Entschuldigen Sie bitte, ich habe das Zimmer nicht gefunden. Und die Unterlagen habe ich leider vergessen. Ich habe gerade neue Bilder machen lassen und meinen Lebenslauf und meine Unterlagen aktualisiert.« Ich würde ihr nicht auf die Nase binden, dass meine Unterlagen noch immer auf dem Stand von vor drei Jahren waren. Unwillkürlich war mein Blick auf Frau Ohneschuhs Füße gefallen. Natürlich trug sie Schuhe. Bequemschuhe mit Belüftungslöchern, die sehr stark den Modellen ähnelten, mit denen ältere Frauen zum Gießen auf den Friedhof gingen. Dennoch konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Leider war Frau Ohneschuh, offensichtlich an derartige Reflexe gewöhnt, meinem Blick gefolgt und quittierte mein Grinsen, indem sie mit säuerlichem Blick die Lippen zusammenkniff. Als die gute Fee an Baby Ohneschuh ihre guten Gaben verteilt hatte, war ihr offensichtlich der Humor unter die Wiege gefallen und sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, ihn aufzuheben.
»Nun, Frau Praetorius, was haben Sie bisher getan, um eine neue Stelle zu finden? Wie viele Bewerbungen haben Sie geschrieben, wie viele Vorstellungsgespräche geführt? Immerhin sind Sie jetzt seit vier Tagen ohne Beschäftigung.«
Bumm. Das war die Strafe für den Blick auf die Füße. Unwillkürlich fasste ich an mein linkes Ohr. Kam da nicht schon wieder ein Rauchwölkchen heraus?
»Na ja, so lange ist das doch noch gar nicht.«
Ohneschuh kniff die Lippen zusammen und machte missbilligend »Ts,ts«.
Ich fühlte mich wie eine Zwanzigjährige, die versuchte, ihren Freund an der gestrengen Vermieterin und dem Schild »Keine Herrenbesuche« vorbeizuschmuggeln.
»Wie sieht es denn mit einem Bildungsgutschein aus?«, fragte ich vorsichtig.
»DerBildungsgutscheinansichisteigentlichabgeschafftwirüber
nehmennurdannKostenfürFortbildungenwenneineindeutiger
ZusammenhangzwischendemInhaltIhrerFortbildungundder
WahrscheinlichkeitderErhöhungIhrerVermittelbarkeitunmittel
barnachAbschlussIhrerFortbildungbestehtwasinIhrem
Fallsonichtklarerkennbarist.«
Ich blickte sie entgeistert an. Ich hatte kein Wort verstanden, aber ich hatte den Eindruck, dass sie einen Bildungsgutschein abgelehnt hatte. »Was soll ich also Ihrer Meinung nach tun?«
Die olle Ohneschuh sah mich zum ersten Mal richtig an. »Wenn ich ganz offen reden darf, Frau ...«, sie warf einen Blick auf ihren PC, »Praetorius: In der Werbebranche werden Sie sowieso nichts mehr finden, in Ihrem Alter, also bewerben Sie sich am besten direkt für Jobs, für die Sie eindeutig überqualifiziert sind. Zum Beispiel in einem Callcenter. Marketing hat ja irgendwie auch was mit Werbung zu tun. Da sind Sie ganz dicht am Kunden dran! Das ist doch auch schön! Hierfür bieten wir Ihnen die Kostenübernahme einer eintägigen Schulung an: ›Die lächelnde Telefonstimme‹. In dieser Schulung lernen Sie, auf die unverschämtesten Gesprächspartner freundlich und gefasst zu reagieren, eben mit einem Lächeln in der Stimme.« Sie machte eine bedeutungsschwangere Pause. »Und tun Sie etwas, um uns zu überzeugen, dass Sie sich um eine neue Stelle bemühen. Sonst werden Ihnen die Bezüge gekürzt.«
Frau Ohneschuh blickte auf die Uhr.
»LeideristdieIhnenzurVerfügungstehendeBeratungszeitabge
laufenichgebeIhneneinFormularmitdannkönnenSiesichüberleg
enobSiesichfürdieCallcenterschulunganmeldenmöchtenschöne
nTagaufWiedersehen.« Bei den letzten Silben des Bandwurms war sie schon aufgestanden und hatte mir die Hand waagerecht entgegengestreckt, so dass ich gezwungen war, ebenfalls aufzustehen. Sie packte meine Hand und schubste mich mit jedem Schütteln ein kleines Stück weiter von sich weg. Ich öffnete den Mund.
»Die
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