Laugenweckle zum Frühstück
Fee ...«, sagte ich.
Frau Ohneschuh hob irritiert die linke Augenbraue. »Fee? Welche Fee?«
Ich drehte mich um und verließ grußlos das Büro. Wahrscheinlich würde ich jetzt einen Aktenvermerk bekommen: »Frau Praetorius war unpünktlich, hatte ihre Unterlagen nicht dabei, starrte auf meine Füße, hat sie nicht mehr alle, weil sie von Feen spricht und ist unhöflich, weil sie ohne Gruß geht. Fazit: Den Anforderungen der modernen Berufswelt nicht gewachsen, sprich: nicht vermittelbar. Am besten sofort Hartz IV oder Zwangsarbeit auf den Spargelfeldern.«
Ich ging zurück zum Fahrstuhl, wo mir gerade noch rechtzeitig einfiel, dass ich ja zu Fuß gehen wollte. Im Erdgeschoss ging ich noch einmal zum Empfang.
»Haben Sie eigentlich auch Informationen über Aushilfsjobs?«
Die Frau nickte und zeigte auf ein Regal. »Schauen Sie mal dort, da steht ein ganzer Ordner. Allerdings muss ich dazu sagen, dass die Agentur für Arbeit die Qualität und Seriosität der Arbeitsangebote nicht überprüft hat.«
Putzhilfen, Handwerker, Babysitter oder Gärtner – in dem bunten Sammelsurium des Ordners schien nichts für mich dabei zu sein. In der Regel war nicht mal meine eigene Wohnung geputzt, ich konnte keinen Nagel gerade einschlagen und Babys hatten eine gewisse Neigung, mir aus den Händen zu rutschen. Alles sinnlos. Aber dann entdeckte ich eine Seite, die mir nicht uninteressant erschien: »Nebentätigkeit, auch stundenweise, tagsüber oder abends. Trinkgelder. Führerschein erforderlich, Spanischkenntnisse und angenehme Stimme von Vorteil.« Das klang nach einem nicht allzu anstrengenden Job, der sich gut mit meiner Arbeitssuche vereinbaren ließ. Ich hatte zwar kein Auto, aber einen Führerschein, meine Stimme fand ich ausgesprochen angenehm und Spanisch hatte ich mal zwei Semester an der VHS gelernt. Und gegen Trinkgelder war nun wirklich nichts einzuwenden. Ich schrieb mir die Telefonnummer auf und flüchtete nach draußen.
Unmittelbar vor dem Arbeitsamt war ein eingezäuntes unbebautes Gelände, das sehr ordentlich mit Kies bestreut war. Unwillkürlich hielt ich Ausschau nach einem Schild, auf dem stand: »Hier baut das Bauunternehmen XY ein steriles Glas-Beton-Gebäude und trägt so zur nachhaltigen Entwicklung des großartigen Nordbahnhofviertels bei.« Es gab aber kein Schild. Stattdessen gab es am Rande des Zauns einen wunderbar dekadenten Imbisswagen, der Currywurst und Hähnchen verkaufte. Es roch verführerisch. Die Hähnchen drehten sich auf ihren Spießen wie kleine Riesenradgondeln gemächlich im Kreis, sie tropften und sahen gar nicht unglücklich aus. Ich war ohne Frühstück aus dem Haus gegangen und die Warterei beim Arbeitsamt und der Termin bei Frau Ohnesocke hatten mich ziemlich hungrig gemacht. Es war aber erst halb zwölf. In diesem Moment knurrte mein Magen laut und vernehmlich, das gab den Ausschlag. Ich nahm ein Hähnchen mit Ketchup und Brötchen und dazu eine Cola. An den weißen Stehtischen, die mit Mayo-, Senf- und Ketchupstreifen verziert waren, standen unglücklich aussehende Menschen, die entweder zu lange auf Frau Ohneschuhs Füße gestarrt hatten oder gerade ihren Hartz-IV-Bescheid in Empfang genommen hatten. Immerhin wurden sie von der Wintersonne beschienen.
Ich stellte mich neben einen Türken, der trotz der winterlichen Kälte nur eine abgewetzte Anzugjacke über einem geflickten Rollkragenpullover trug und eine Portion Pommes rotweiß vertilgte. Ich zupfte ein Stück Haut vom Hähnchen, sie war perfekt, knusprig, aber nicht zu fettig, und auch die weißen Fleischlappen darunter waren genau so, wie sie sein sollten. Keine Frage, dieses Hühnchen war zu Lebzeiten ein gesundes, glückliches Hühnchen gewesen, das eifrig über den Hühnerhof getippelt war und sich von kleinen, gesunden Würmern ernährt hatte. Bestimmt hatte es auch ein erfülltes Hennensexleben mit dem Hahn gehabt.
Ich tunkte die großen weißen Fleischlappen in den Ketchup und verzehrte sie mit Inbrunst, für einen Moment vergaß ich Frau Ohneschuh, meine Arbeitslosigkeit und Leon, ich aß das Hähnchen, als sei es meine Henkersmahlzeit, schloss die Augen und dachte an meine Kindheit.
Mein Vater war manchmal sonntags zu
Wienerwald
nach Feuerbach gefahren, Göckele holen, und ich fuhr mit. Dass meine Mutter nicht kochte, fiel meinem Vater unter der Woche nicht auf, da er in der Betriebskantine aß, am Wochenende dagegen war Survival-Training gefragt. Eine seiner Überlebensstrategien hieß
Wienerwald
. Eine
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