Laugenweckle zum Frühstück
Medikamentenschrank auszusortieren. Das war schon lange fällig und würde meine Nerven beruhigen. Das mit dem Aussortieren ging ziemlich schnell. Alle meine Medikamente waren abgelaufen und wanderten in den Hausmüll, wie es sich gehörte. Der Medikamentenschrank blieb gähnend leer zurück. Ich brauchte dringend neue Aspirin. Und Baldrian.
Das Telefon klingelte. Ich rannte aus dem Bad zurück ins Wohnzimmer. Unterwegs fiel ich über die unausgeräumten Ikea-Tüten, die im Flur herumlagen. Eine Zehntelsekunde, bevor der AB ansprang, nahm ich atemlos ab.
»Hallo Line, wieso bist du so außer Atem?« Es war Lila.
»Ich sortiere meinen Medikamentenschrank.«
»Am Sonntagmorgen?«
»Sonntagmorgen eignet sich hervorragend dazu, um seinen Medikamentenschrank auszusortieren. Und du?«
»Ich schaue meine neue DVD,
Es singt und tanzt das Edelweiß
mit Florian Silbereisen. Maria Hellwig steht gerade mit aufgebocktem Busen vor einem Heuhaufen und singt. Sehr laut.« Das stimmte. Im Hintergrund war Gejodel zu hören.
»Du schaust
was
? Ich dachte, dazu muss man mindestens achtzig sein und lila ondulierte Haare haben! Und ist Maria Hellwig nicht längst tot?«
»Maria Hellwig ist grade mal Mitte achtzig und du kannst mit ihr sogar noch einen Spieleabend machen, was du mit Johannes Heesters nicht mehr kannst, weil alle Gesellschaftsspiele nur bis 99 gehen. Nein, ich will mich an Tonio rächen. Er hat heute morgen schon mindestens zehnmal das unaussprechliche Lied, das die Lippen verlässt, gehört. Ich kann nicht mehr, Line. Das ist Psychoterror!«
»Dann such dir doch einen neuen Mitbewohner. Ich biete dir Leon an.«
»Damit die norddeutsche Sumpfschnepfe bei mir in der Küche ihre Nase rümpft? Na, ich danke. Was macht der Scheich?«
»Ruft nicht an.«
»Dann ruf du ihn doch einfach an, wenn dir danach ist.«
»Lila, so funktioniert das nicht! Männer müssen das Gefühl haben, dass sie die Jäger sind. Sonst verlieren sie sofort das Interesse.«
»Das ist doch vorsintflutlich! Du bist eine emanzipierte Frau auf der Höhe der Zeit! Du kannst ihm doch zeigen, dass du ihn magst!«
»Damit durchbreche ich aber die Spielregeln, die Neandertaler Junior im Jahre 60 000 vor Christus an die Höhlenwand von Ichweißnichtwo gemalt hat. Darauf sieht man einen Mann mit einem Speer in der Hand, der einer Frau hinterher rennt. Daran hat sich nichts geändert.«
»Meinst du nicht, die zwischenmenschlichen Beziehungen haben sich seither ein klitzekleines bisschen weiterentwickelt?«
»Nein.«
»Line, du bist eine Schande für Alice Schwarzer und die komplette Frauenbewegung!«
Ich legte auf. Ich war die Ruhe in Person. Ich würde ihm nicht hinterherrennen. Nicht ich! Ich kannte die unumstößlichen Dating-Regeln. Ich lief im Wohnzimmer im Kreis, den Blick starr auf das Telefon auf dem Tisch gerichtet. Es klingelte nicht. Nach zehn Runden fing mein Hals an wehzutun, weil ich den Kopf immer so drehte, dass ich das Telefon sehen konnte. Klingle, klingle! Ich sandte Eric parapsychologische Nachrichten.
Ich werde jetzt Line anrufen
. Ich konzentrierte mich stärker.
Es gibt nichts Wichtigeres auf der Welt, als Line anzurufen. Sie hat mir nicht absichtlich ins Gesicht gekotzt und ist eigentlich ein reizendes Mädchen, das ich unbedingt näher kennen lernen will
. Weitere fünf Runden auf dem Teppich. Das Telefon klingelte. Hurra, es funktionierte! Ich machte einen Hechtsprung und grabschte nach dem Apparat. »Ja, hallo?«
»Herzlichen Glückwunsch, Sie haben bei unserem tollen Gewinnspiel den ersten Preis gewonnen! Nur noch eine klitzekleine Frage, bevor Sie Millionärin werden: Welche Schuhgröße haben Sie?«
»Aaargh!« brüllte ich und knallte das Telefon wieder auf den Tisch.
Weitere zehn Runden. Ich musste mich ablenken. Irgendwie. Und wenn ich doch anrief? Ich meine, schließlich hatte Lila recht. Ich war emanzipiert! Nicht so eine blöde Schickischnalle! Ich war modern! Ich konnte meine Beziehungen zum männlichen Geschlecht selbstbewusst gestalten! Ich würde sogar eine Abfuhr lässig wegstecken! Davon hing mein Selbstwertgefühl nicht ab!
Mit zitternden Fingern wählte ich Erics Nummer.
»Guten Tag, Sie haben die Anschluss von Eric M. Hollister, PhotoART, erreicht. Leider ich bin zur Zeit ...«
Ich legte auf.
Nach drei Runden durchs Zimmer wählte ich erneut.
»Guten Tag, Sie haben die Anschluss von Eric M. Hollister, PhotoART, erreicht. Leider ich bin zur Zeit nicht erreichbar. Bitte hinterlassen Sie mir eine
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