Laugenweckle zum Frühstück
hören wollte, was in der Nachbarwohnung passierte. Nach einer halben Stunde klopfte Frau Müller-Thurgau mit dem Besenstiel gegen die Decke. Es war mir egal. Dann kippte ich den Zucker in meine Zuckerdose und kochte mir einen heißen Kakao, den ich in Leons Tasse füllte. Ich bin eine nostalgische Ziege, dachte ich. Ich legte meine kalten Hände um die Tasse. Als ich sie wegnahm, um zu trinken, hatte die Frau im Dirndl erstaunlicherweise ihre Kleidung abgelegt. Darunter kamen ein paar Titten à la Pamela Anderson hervor. Ich brach in Tränen aus.
»Okay, Line«, dachte ich, »gleich hast du einen
nervous breakdown
à la Paris Hilton, kurz bevor man sie ins Gefängnis stecken wollte.«
Ich versuchte, mich zu beruhigen, und legte eine alte Kinder-CD von mir auf,
Der Sängerkrieg der Heidehasen
. Mit fünf Jahren hatte es funktioniert. 26 Jahre später funktionierte es nicht. Ich war ein Nervenbündel. Ich flößte mir ein paar Rescue-Tropfen ein, dann rief ich Lila an.
»Lila, mein Leben ist eine einzige Katastrophe. Ich wollte Bewerbungen schreiben, und was kommt dabei heraus? Ich kann mich kein bisschen konzentrieren, und stattdessen hinterlasse ich Eric M. Hollister vollkommen bescheuerte Nachrichten auf seinem Anrufbeantworter, die mich als stotternden, verliebten Teenager outen. Anschließend will ich mich mit Leon versöhnen und mache mich schon wieder vor der Sumpfschnepfe lächerlich, die mir mit verrutschten Klamotten und Schlafzimmerblick die Tür aufmacht!«
»Line, du solltest dir die Männer aus dem Kopf schlagen und dich auf das Wesentliche konzentrieren. Einen Job zu finden ist doch viel wichtiger als manipulierbare Nachbarn und überdrehte Fotografen!«
»
Ich bin ein nervöses Wrack!
«
»Schon gut, schon gut. Deshalb brauchst du nicht gleich zu brüllen. Du könntest es mit PME versuchen.«
»Ich kenne nur PMS. Einen Tag vor meiner Periode kriege ich Dauerschluckauf.«
»PME. Progressive Muskelentspannung. Das ist eine Entspannungstechnik.«
»Ich weiß nicht, wie das geht. Außerdem bin ich nicht so der Entspannungstechniktyp. Ich war einmal in einem VHS-Kurs ›Luna-Yoga für Thirtysomethings‹ in der Hoffnung, dort einen netten Typen kennen zu lernen. Die Thirtysomethings waren im Durchschnitt etwa sechzig, Männer gab es keine und während die anderen Frauen entrückt geoooohmt und geraaaaahmt haben, habe ich darüber nachgegrübelt, ob ich nach dem Kurs Salamibaguettes oder Pommes in den Ofen hauen soll.«
»Alternativ könnten wir Pizza essen gehen und anschließend im
Atelier am Bollwerk
einen netten Film gucken. Ich müsste noch so zwei, drei Sonntagskrisentelefonate führen. Danach könnten wir uns treffen.«
»Und meine Bewerbungen?«
»Line, manchmal ist es wichtig, aus einer Situation herauszugehen, anstatt Dinge erzwingen zu wollen. Du musst loslassen. Im Moment wirst du sowieso nichts auf die Reihe kriegen. Stattdessen wirst du ums Telefon schleichen und die Nachbarwohnung belauschen.«
Lila war mal wieder unglaublich vernünftig. Aus der Situation herausgehen. Pizza und Kino. Das klang nach einer effektiven Beruhigungstherapie.
15. Kapitel |
Montag
So wie Schneewittchen bin ich hier im Land die Schönste
,
und meine Neiderinnen haben mich im Blick
.
Wenn Blicke töten könnten, wär’ ich längst ne Leiche
,
vor Gift und Messer schrecken sie doch noch zurück
.
Statt sieben Zwergen hab ich Albrecht, Heinz und Ulrich
,
die machen mir die Steuer und so allerlei
,
sie sind sehr nützlich, wichtig und auch unterhaltsam
,
doch für die wahren Wünsche, da bin ich noch frei
...
Am nächsten Morgen wachte ich ganz von allein um acht Uhr auf und fühlte mich viel besser und voller Energie. Pizza und ein Gläschen Chianti hatten eine unglaublich beruhigende Wirkung auf mich ausgeübt. Ich hatte Lila ausführlich die desaströse Begegnung mit Yvette geschildert. Als ich fertig war, mutmaßte Lila, die Sumpfschnepfe hätte mich reingelegt und die derangierte Kleidung nur inszeniert. Zuzutrauen wäre es ihr ja. Trotzdem tröstete es mich nur bedingt.
»Ich sag dir was«, sagte Lila, »du steckst mit Eric und Leon in einer Sackgasse. Da hilft nur eines: Es muss jemand Drittes her!«
»Lila, ich glaube nicht, dass ich dazu im Augenblick die Energie habe. Ich bin vollkommen damit ausgelastet, die beiden Männer in meinem Leben abwechselnd sauberzumachen und mich bei ihnen zu entschuldigen.«
Lila kramte in ihrer politisch korrekten Tasche aus alten Sunkist-Packungen und
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