Laura Leander 01 - Laura und das Geheimniss von Aventerra
wieder auf dem Damm ist, werde ich seine Amtsgeschäfte führen.«
Laura schluckte. Betroffen schaute sie einen Moment zu Boden.
»Kann ich dir vielleicht helfen, Laura?«, unterbrach der stellvertretende Direktor die Stille. Sein Gesichtsausdruck hatte etwas Lauerndes an sich.
»Nein, nein! Ganz bestimmt nicht. Kann ... kann ich Professor Morgenstern besuchen?«
Quintus Schwartz schüttelte den Kopf. »Ausgeschlossen! Nur der Arzt und Mary Morgain dürfen zu ihm. Miss Mary kümmert sich um ihn, wenn sie keinen Unterricht hat.«
Dann ist er wenigstens in guten Händen, dachte Laura.
Miss Mary Morgain war die Englisch- und Französischlehrerin des Internats und bei allen Schülern äußerst beliebt. Die meisten vergötterten die junge Frau geradezu, und auch Laura liebte Miss Morgain über alles. Die Lehrerin hatte ein sanftes Wesen, war über die Maßen hilfsbereit und behandelte ihre Schüler stets gerecht. Miss Morgain würde sicherlich darauf bedacht sein, dass es Aurelius Morgenstern an nichts fehlte.
»Weiß man denn schon, wie lange der Professor ...?«
»Nein, Laura. Im Augenblick kann das niemand sagen.«
Natürlich, dachte Laura. Wie denn auch? Wenn man noch nicht einmal weiß, was ihm fehlt.
Als sie Dr. Quintus Schwartz anblickte und sich von ihm verabschiedete, hatte sie allerdings den Eindruck, als rechne dieser fest damit, dass der Professor seine Amtsgeschäfte nicht so bald wieder aufnehmen würde. Er schien sogar fest davon überzeugt zu sein.
Es war nicht sein Lächeln, das seine Gedanken verriet. Es waren seine Augen. Sie waren kalt.
Kalt wie Eis.
Laura schloss die Tür des Sekretariats hinter sich und trat in den Gang. Der Flur war nicht geheizt. Laura fröstelte leicht. Sie knöpfte ihre Jacke zu und schlug gedankenverloren den Weg zum Klassenzimmer ein. Die finstere Gestalt, die in einer dunklen Ecke stand und sie mit ebenso finsterer Miene beobachtete, bemerkte sie nicht.
Es war Attila Morduk, der Hausmeister von Ravenstein. Er hatte einen kräftigen, gedrungenen Körper, auf dem ein auffallend großer Kopf saß. Sein mächtiger Schädel war kahl wie eine Bowlingkugel, und auch in seinem Vollmondgesicht war nicht das geringste Barthaar zu entdecken. Nicht einmal ein Fläumchen, nichts - Attilas Wangen und Kinn waren glatt wie ein Säuglingspopo.
Das Auffälligste an ihm aber waren die Arme. Sie waren so lang, dass sie beinahe bis zu den Knien reichten. Zudem waren sie derart stark behaart, dass es fast so aussah, als wären sie von einem dichten rostbraunen Fell bedeckt, das ebenso kräftig auf seinen Handrücken wucherte. Die Hände waren übermäßig groß. Nicht ganz so groß wie Klodeckel, wie manche Schüler behaupteten, aber dennoch so riesig, dass Attila einen Medizinball mühelos mit einer Hand aufheben konnte.
Attila Morduk war schon seit endlos langen Zeiten als Hausmeister auf Ravenstein beschäftigt, und genauso lange schon war er der Schrecken der Schüler. Er trug immer ein furchtbar grimmiges Gesicht zur Schau. Kein Schüler konnte sich daran erinnern, dass Attila Morduk jemals gelacht oder auch nur geschmunzelt hätte. Er schaute stets so gruftig drein, als wolle er der finstersten Heavy-Metal-Band Konkurrenz machen. Die meisten Jungen und Mädchen bekamen es schon bei seinem bloßen Anblick mit der Angst zu tun und gingen ihm aus dem Weg.
Laura hatte das Ende des Ganges fast schon erreicht, als Attila Morduk sich vorsichtig nach allen Seiten umblickte. Dann setzte er seinen massigen Körper in Bewegung. Auch wenn er dabei hin und her wiegte wie ein Seemann auf Landurlaub, besaß er überraschenderweise einen äußerst behänden und geschmeidigen Gang. Ohne ein Geräusch zu machen, folgte er der ahnungslosen Laura.
M orwena trieb ihr Reittier unbarmherzig an. »Weiter, Feenbraut, lauf weiter«, rief sie gegen den heulenden Wind an. Feenbraut hob den Kopf, die beiden schmalen Elfenbeinhörner auf ihrer Stirn glänzten im Sonnenlicht. Sie schnaubte kurz und kämpfte sich dann weiter durch den Schnee, der ihr fast bis zum Bauch reichte. Unter der dichten Schneedecke war der schmale Weg, der hinauf zum Pass führte, kaum zu erkennen. Außerdem stieg er derart steil an, dass er für nahezu jedes Pferd unpassierbar gewesen wäre. Feenbraut, Morwenas Zweihorn, hingegen bereitete er keinerlei Schwierigkeiten. Sie meisterte den Anstieg mühelos, und keiner ihrer Tritte ging fehl.
Zweihörner waren nicht nur robuster als Pferde, sondern auch sehr viel belastbarer
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