Laura Leander 01 - Laura und das Geheimniss von Aventerra
vollkommen sicher, dass es für die beiden kein Entkommen mehr gab.
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Im Henkerswald
er Henkerswald machte seinem Namen alle Ehre. Es war unheimlich dort. Nahezu gespenstisch. Ein schmaler Waldweg schlängelte sich durch den Forst, der schon seit vielen Jahren nicht mehr bewirtschaftet wurde. Es wurde kein Holz mehr geschlagen und auch keine Setzlinge mehr angepflanzt. Und ebenso wenig kümmerte man sich um die Schäden, die Stürme oder andere Unwetter anrichteten. Entwurzelte Bäume wurden nicht entfernt, und niemand räumte gefallene Äste zur Seite. Die Natur blieb einfach sich selbst überlassen, und so war im Laufe der Zeit ein kleiner Urwald entstanden. Die mächtigen alten Bäume - überwiegend Eichen, Buchen, Kiefern und Fichten - standen dicht an dicht und reckten sich hoch zum grauen Nachmittagshimmel, der hin und wieder durch die Wipfel schimmerte. Die dicken Stämme waren mit dichtem Moos bewachsen und von Efeu überzogen. Von vielen Ästen hingen lose Flechten und allerlei Ranken und Schlingpflanzen. Aus dem mit welkem Laub bedeckten Boden sprossen meterhohe Farne, deren Wedel graubraun verfärbt waren.
Trotz der frühen Nachmittagsstunde herrschte bereits Dämmerlicht im Henkerswald. Den Freunden war unbehaglich zumute, während sie dem schmalen Weg in Richtung Gruft folgten. Kaja blickte sich ängstlich um, und auch die Gesichter von Laura und Lukas hatten einen angespannten Ausdruck angenommen. Der Klang ihrer Schritte wurde durch einen dicken Teppich aus alten Tannennadeln und verrottendem Laub gedämpft. Der Geruch von Moder und Fäulnis lag in der Luft. Wieder und wieder raschelte und wisperte es im Unterholz, und auch Knacken und Knistern waren zu hören. Doch es war niemand zu entdecken, der diese Geräusche verursacht haben konnte. Kein Mensch und kein Tier.
Komisch, dachte Laura, nicht mal ein Vogel ist zu sehen.
Im gleichen Augenblick fiel ihr auf, dass auch kein Vogelgezwitscher zu hören war. Natürlich wusste sie, dass sich im Winter weniger Vögel im Wald aufhielten als während der warmen Jahreszeit. Aber trotzdem hätte man zumindest einige Vogellaute hören müssen. Als sie sich suchend umblickte, bemerkte sie düstere Schatten, die über Bäume und Sträucher strichen. Oder waren das am Ende gar keine Schatten, sondern die Geister, die im Henkerswald angeblich ihr Unwesen trieben? Die Geister der Ravenstein sehen Ritter vielleicht? Oder die Geister der unschuldig Hingerichteten?
In früheren Zeiten hatte eine Lichtung im Wald als Richtstätte gedient. Viele Unschuldige waren unter den Unglücklichen, die an diesem grausigen Platz den Tod durch den Henker fanden - besonders unter Reimar von Ravenstein. Ein fadenscheiniger Beweis oder die Aussage eines windigen Zeugen hatten genügt, und schon war es um den armen Kerl oder die arme Frau geschehen. Und wenn es der Grausame Ritter höchstpersönlich auf jemanden abgesehen hatte, dann bekam der Henker auch Arbeit, ohne dass ein Gericht zuvor ein Schandurteil fällen musste.
Seit jenen Tagen schon erzählte man sich in der Gegend mancherlei Schauergeschichten über die Geister dieser unschuldig Gerichteten, die angeblich, ruhelos auf Rache sinnend, im Henkerswald ihr Unwesen trieben. Natürlich wurden diese Gruselstorys auch im Internat mit Begeisterung weitererzählt. Gesehen hatte diese Geister allerdings noch niemand, nur ihr schauerliches, durch Mark und Bein gehendes Heulen wollten einige wenige Ravensteiner schon gehört haben. Oder zumindest kannten sie jemanden, der es vernommen haben wollte. Natürlich wusste auch Laura um diese Gerüchte, aber sie hatte nie ernsthaft daran geglaubt.
Doch irgendeine Ursache mussten diese unheimlichen Geräusche ja haben, die sie seit dem Moment begleiteten, in dem sie den Henkerswald betreten hatten ...
Plötzlich schrie Kaja laut auf. Wie angewurzelt blieb sie stehen. Alles Blut war aus ihrem Gesicht gewichen.
Überrascht schaute Laura die Freundin an. »Was ist los?«
»Hast du das nicht gehört?«
»Was denn?«, fragte Laura. Und da erst bemerkte sie, dass Kaja am ganzen Leibe zitterte.
»Dieses ... schreckliche Heulen«, antwortete Kaja. »Es war richtig unheimlich. Wie ... wie von einem Geist.«
»Du spinnst!«, sagte Lukas kühl. »Das hast du dir nur eingebildet.«
»Hab ich nicht!«
»Und warum haben Laura und ich es dann nicht gehört?«, fragte Lukas. »Du hast es doch auch nicht gehört, oder, Laura?«
Laura schüttelte den Kopf.
»Weiß ich doch nicht!«,
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