Laura Leander 01 - Laura und das Geheimniss von Aventerra
das wohl stimmte. In einem Zeitraum von zwölf Monaten hätten selbst schnell wachsende Sträucher nicht alle Spuren eines Pfades verdecken können. Aber genau das war hier der Fall: Im Gestrüpp war nicht die geringste Spur eines noch so schmalen Durchlasses zu entdecken.
»Du hast Recht, Lukas«, sagte sie. Sie war hörbar enttäuscht.
»Lass uns zurückrudern!« Lukas wollte den Weg zum Ufer einschlagen, als er plötzlich stehen blieb und ein überraschtes Gesicht machte. »Merkwürdig!«, sagte er nachdenklich.
Kaja verstand zunächst nicht, was Lukas meinte. Doch dann sah sie, worüber Lukas sich wunderte: Wenige Meter von ihnen entfernt rankte sich eine seltsame Schlingpflanze um eine schmächtige Birke. Kaja hatte eine solche Pflanze noch nie zuvor gesehen. Wie eine grüne Schlange wand sie sich um den Baum. Die großen fleischigen Blätter waren fast unwirklich grün. Am auffälligsten aber waren die üppigen Blütenkelche der Pflanze. Sie waren von einem auffallend kräftigen Rot und hatten lange gelbe Staubfäden.
Laura schaute den Bruder überrascht an. »Was ist daran so merkwürdig?«, fragte sie.
Lukas verzog das Gesicht. Er stand auf dem Bootssteg und hielt Laura eine rote Blüte entgegen. Er hatte sie auf der Insel gepflückt, bevor er mit Kaja wieder zurückgerudert war.
»Fragst du das im Ernst?«, sagte er, während er Laura zweifelnd anblickte. »Überleg doch mal: Eine Blüte im Dezember ist an sich schon ziemlich ungewöhnlich ...«
Laura schlug sich mit einem leisen Stöhnen an die Stirn. »Natürlich! Da hätt ich auch von alleine drauf kommen können!«
»Sag ich doch, du Spar-Kiu!« Lukas grinste. Dann wurde er wieder ernst. »Was allerdings noch merkwürdiger ist, ist die Tatsache, dass es sich hier um eine Alamania punicea handelt - und diese Pflanze ist hier überhaupt nicht heimisch! Sie wächst nicht bei uns, weder in unserer Gegend noch irgendwo sonst in Deutschland. In ganz Europa gibt's dieses Gewächs nicht!«
Die Mädchen schauten ihn überrascht an. Was hatte das zu bedeuten?
»Die Alamania punicea miraculosa ist eine äußerst seltene Orchideenart, die eigentlich nur in den Tropen vorkommt«, fuhr Lukas fort. »Was allerdings das Allermerkwürdigste ist ...« Er machte eine kleine Pause, um die Mädchen ein bisschen auf die Folter zu spannen.
Kaja schaute ihn böse an und knuffte ihn an den Arm. »Jetzt sag schon!«, forderte sie ihn ungehalten auf.
Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Jungen. Immer wieder erstaunlich, wie leicht Mädchen auf die Palme zu bringen waren!
»Das Allermerkwürdigste ist, dass die Alamania punicea miraculosa auch in Mexiko, ihrer Ursprungsregion, bereits seit mehr als hundert Jahren als ausgestorben gilt!«
»Was?«, staunte Kaja. »Aber das gibt's doch nicht!«
»Das ist tatsächlich seltsam«, sagte Laura. »Ich meine, du hast die Blüte doch eben erst auf der Insel gepflückt, oder?«
»Ja«, antwortete Lukas. »Es gibt dort auch noch mehr davon.«
»Und was schließt du daraus?«
Lukas zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Jedenfalls ist mir bislang noch keine einleuchtende Erklärung eingefallen.«
Auch Kaja machte ein ratloses Gesicht. Wenn der belesene und neunmalkluge Lukas das nicht wusste, wie sollte sie dann das wissen?
»Und ihr seid sicher, dass auf der Insel niemand was versteckt haben kann?«, fragte Laura weiter.
»Exaktenau«, antwortete Lukas. »Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Und wenn du mit eigenen Augen gesehen hättest -«
»Ist schon okay, Lukas«, unterbrach ihn Laura rasch. »Ich glaub's euch ja.«
Eine Weile starrte sie schweigend vor sich hin. Das sanfte Plätschern des Wassers war zu hören, das gegen den Bootssteg schwappte, eine einsame Ente quakte im Schilf, und einige neugierige Spatzen auf Futtersuche tschilpten.
Laura schien nachzudenken. Dann nickte sie mit dem Kopf. »Wenn das Versteck weder die geheime Schatzkammer noch auf der Insel sein kann«, sagte sie gedehnt, »dann bleibt uns eigentlich nur noch eine einzige Möglichkeit.« Sie schaute die beiden Freunde auffordernd an.
Kaja verstand zunächst nicht, was Laura meinte, aber dann dämmerte es ihr. Ein ängstlicher Ausdruck legte sich auf ihr Gesicht. »Oh, nö!«, stöhnte sie. »Müssen wir da wirklich hin?«
»Ich fürchte, es bleibt uns nichts anderes übrig!«, erklärte Laura ernst. Damit drehte sie sich um und lief los.
M orwena fühlte sich wie ausgedörrt, ihre Zunge klebte am Gaumen.
Weitere Kostenlose Bücher