Laura Leander 02 - Laura und das Siegel der Sieben Monde
steh’n…« Die Einhörner lösten sie ab: »… weil einer von uns doppelt zählt.« Dann waren die Wolfe an der Reihe: »Nach Rösserart muss vorwärts geh’n…«
»… wer unsern Anfang richtig wählt«, setzten die Löwen hinzu, bevor alle Tiere den Rätselspruch im Chor abschlossen: »Des Siegels Kraft ihm zeigt den Weg, an dessen End der Kelch dann steht.«
Damit verstummten die Tiere, wandten sich von Laura ab und kehrten gemessenen Schrittes, wie es den stolzen Botschaftern einer fremden Welt geziemt, auf die Felder zurück, auf denen sie anfangs gestanden hatten. Als das letzte Tier auf seinem Platz angekommen war – natürlich war es eines der zickigen Einhörner! – , wich alles Leben aus ihnen und sie erstarrten.
Laura gab nicht einen Ton von sich. Voller Erstaunen, jedoch ohne den geringsten Laut, beobachtete sie das Geschehen. Einen Augenblick noch verharrte sie vor dem Schrank, als warte sie auf ein letztes Zeichen der Fabeltiere, auf ein Winken vielleicht oder einen anderen Abschiedsgruß. Doch diese regten sich nicht mehr. Da drehte das Mädchen sich um und ging langsam davon, geradewegs auf seinen Bruder zu.
Als Laura aus der Wand trat, zuckte Lukas zusammen. »Was ist denn passiert?«, fragte er aufgeregt. »Was hast du da drin gemacht, Laura? Jetzt sag schon!«
»Lass uns gehen«, antwortete sie, sinnierend vor sich hinstarrend. »Sonst erwischen uns die Mönche am Ende doch noch.«
Kaja schüttelte den Kopf und sah Laura enttäuscht an. »Oh, nö!«, moserte sie. »Wenn ich’s mir recht überlege, dann hat dieser Besuch im Kloster ja überhaupt nichts gebracht!«
»Na ja«, antwortete Laura gedehnt. »Immerhin weiß ich jetzt mit Sicherheit, wo sich der Kelch befindet –«
»- an den du aber trotzdem nicht rankommst!«, fiel Kevin ihr ins Wort. »Dieses komische Rätsel ergibt doch überhaupt keinen Sinn. Sonst hätten wir in der Zwischenzeit zumindest den Ansatz einer Lösung finden müssen, oder?«
Laura zog nur missgelaunt die Augenbrauen hoch und warf ihrem Bruder einen Hilfe suchenden Blick zu.
Auch Lukas machte nicht eben einen gut gelaunten Eindruck. »Ich bin leider auch nicht viel weitergekommen«, erklärte er. »Dabei hab ich in den letzten Tagen das Internet nach allen möglichen Rätselseiten und Orakelsprüchen durchforstet. Ich hab auch alles Mögliche gefunden – nur keinen Hinweis auf diesen merkwürdigen Spruch. Und natürlich auch keine Lösung. Nur über Reimars Kaplan habe ich was Neues erfahren.«
»Und was?«
»Dass er trotz seiner kurzen Lebenszeit einige wunderschöne Bibelkopien angefertigt hat und an einer Chronik von Burg Ravenstein arbeitete, als Reimar ihn hinrichten ließ.« Lukas blickte die Schwester eindringlich an. »Papa hat für sein Forschungsprojekt über die Geschichte von Ravenstein übrigens öfter auf seinen Nachlass zurückgegriffen. Der wird nämlich hier im Archiv aufbewahrt.«
Die Erwähnung des Vaters ließ Laura ganz wehmütig werden. Sie schluckte. »Das hört sich ja interessant an, Lukas, und vielleicht sollten wir da gelegentlich auch mal einen Blick drauf werfen. Bei unserem aktuellen Problem allerdings hilft uns das nicht viel weiter, fürchte ich.«
Der Junge zuckte bedauernd mit den Schultern. »Tut mir Leid, aber mehr hab ich nicht rausgefunden.«
»Und in der Bibliothek hast du auch nichts entdecken können?« Ein schwacher Hoffnungsschimmer zeigte sich auf Kajas Miene, verschwand aber schnell wieder, als Lukas verkniffen den Mund verzog.
»Nicht das Geringste. Dabei hat Fräulein Bröselsam mir nach besten Kräften geholfen. Seit ich ihr die Theorie von Stephen Hawking erklärt habe, ist sie die Freundlichkeit in Person, und ich kann alles von ihr haben!«
»Vielen Dank aber auch«, knurrte Laura grimmig.
»Wolltest du dich nicht auch an der Uni erkundigen?«, wandte Kevin ein.
»Habe ich doch – aber selbst dort konnte mir niemand weiterhelfen.« Lukas machte einen Schritt auf die Schwester zu und schaute sie zweifelnd an. »Bist du auch wirklich sicher, dass du den Spruch richtig verstanden hast?«
»Ja, klar!«, brauste das Mädchen auf. »Ganz sicher sogar! Ich hab ihn mir doch genau gemerkt: ›Obwohl zu viert, für fünf wir steh’n, weil einer von uns doppelt zählt. Nach Rösserart muss vorwärts gehen, wer unsern Anfang richtig wählt. Des Siegels Kraft ihm zeigt den Weg, an dessen End der Kelch dann steht.‹ Genauso lautet das Rätsel, das die Tiere mir aufgegeben haben!«
»Ist ja gut!«,
Weitere Kostenlose Bücher